laut.de-Kritik
Vom Gammeln und Vergammeln-Lassen.
Review von Yannik GölzEin Moment der Kränkung inspirierte "Dir" laut Bandcamp-Beschreibung. Betonung vielleicht deutlicher auf "Moment" als auf "Kränkung", denn am Debütalbum von Jens Ausderwäsche beeindruckt auf Anhieb vor allem eines: Eine Perspektive, die sich erfrischend aus dem Moment gegriffen anfühlt. Im Intro spricht die Sängerin "Der Moment ist vorbei, und du bist wieder schön / Der Moment ist vorbei und ich bin wieder schön" auf Texturen, die klingen wie "Im Glück" von NEU!. "Dir" klingt, als müsste man einen tiefen Schlag verdauen und sich kurz darauf wieder an eine Welt akklimatisieren, in der fast alles in Ordnung ist.
Das "fast" drückt sich auf den darauf folgenden Tracks in einer erschütternd eingängigen Niedergeschlagenheit aus. "Gammeln" ist der vermutlich offensichtliche Hit der Platte, hier treibt ein verdammt solider Bassgroove nach vorne und Jens singt darüber, wie ihr die Felle davon schwimmen. "Ich lasse alles vergammeln/", kurze Pause, der Moment vertagt sich, "jetzt habe ich alles vergammeln lassen/". Man möge sich identifizieren.
Immer wieder skizziert das Album Situationen, die sich zu launig und mondän für große Worte wie Depression oder Burnout anfühlen, aber doch eine gute Handvoll der Boxen kreuzen. "Sie Ist Still" zeichnet Schwermütigkeit, ohne zu dramatisieren oder zu ironisieren. Dabei verwendet der Song Sounds, die man problemos auch im aktuellen internationalen Indie wie Lucy Dacus oder Snail Mail findet.
Einen kleinen Moment der Katharsis gibt es trotzdem. Nach einer schwermütigen ersten Hälfte tritt Jens auf "Inbrunst" noch einmal aus sich heraus und liefert einen richtigen Chorus-Chorus: Kopfstimme, totale Präsenz, wahnsinnig eingängige Melodie. "Im Namen meiner Inbrunst beschwöre ich alle Geister die nötig sind", ein Brandbrief gegen das überwältigende Ennui, gegen die Monotonie, in der der (fast normale) Alltag zu versinken droht. Es ist bei Gott kein Popsong, aber es fühlt sich wie ein Moment der Läuterung an. Raus aus der Wehleidigkeit, hin zum Selbst.
Nach "Inbrunst" wird "Dir" allgemein etwas leichter, allgemeiner. Mehr Elemente ordnen sich musikalisch in eine Punk-Tradition ein, das DIY-Element etwas beherzter im Vordergrund und die ganze Platte nimmt einen gewissen Jam-Charakter an. "Outsider-NDW" nennt sie das Genre. Auf "Aua" betreten sogar so etwas wie Gameboy-Samples die Klangkulisse. Wenn auch nicht mehr so griffig wie die erste Hälfte, glätten diese Nummern das emotionale Feld auf eine absurdistische Art und Weise.
Es ist dieser nuancierte, schräge Umgang mit den Gefühlen, der Jens Ausderwäsche auf ihrem Albumdebüt so faszinierend macht. Ein emotionales Durchleben einer Erfahrung als Quasi-Konzeptalbum. Dabei verwebt sie gemeinsam mit Produzentin Gwendolyn Gaffa eine beeindruckende Farbpalette an Einflüssen und Jens findet eine Plattform, mit ihrem einzigartigen Songwriting zu glänzen. Sie nimmt sich nicht anstrengend wichtig, versucht aber auch nicht, erzwungen witzig zu sein. Sie erscheint im Laufe dieser Platte erfrischend authentisch bei sich selbst. Eine Aura der filterlosen Impulsivität, die dieses Debüt von zahlreichen Anderen vergleichbaren Releases deutlich abhebt.
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