Porträt

laut.de-Biographie

Jeshi

Im Vergleich zur deutschen oder amerikanischen Rapszene gab es im UK Hip Hop nie wirklich Berührungsängste zu anderen Genres abseits von Jazz, Soul oder R'n'B. Kein Wunder, blicken sie auf der Insel doch auf eine wirklich vielseitige und einzigartige Musikgeschichte zurück, die die Welt mindestens genauso beeinflusst hat wie die Sounds aus den Staaten. Aus diesem riesigen Einfluss bedient sich Rap bis heute, und neben eigenständigen Richtungen wie Grime flowten die Künstler*innen von der Insel auf jedes Instrumental, das Platz für ein paar Verse bot. Allen voran harte und schnelle elektronische Genres wie Drum’N’Bass, Hardcore oder Trip Hop. Jeshi vereint all diese Einflüsse in einer einzelnen Person.

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Der britische Rapper wird Mitte der 90er Jahre in Ost-London geboren, wo er hauptsächlich von seine Mutter und Großmutter aufgezogen wird, was er später im Song "Two Moms" thematisiert. Seinen Vater beschreibt er in einem Interview als "abwesend". Obwohl aus einer Arbeiterfamilie stammend, nutzt er die Vorteile der kulturell vielfältig geprägten Hauptstadt und stößt auf viel grandiose Musik und Kunst, die keine Grenzen kennt. Er selbst bezeichnet den Ort und speziell sein Viertel als Schmelztiegel, in dem die Segregation noch kaum fortgeschritten ist und er alle Facetten unserer Gesellschaft erlebt.

In dieser Umgebung beginnt er mit ca. 12/13 Jahren selbst Musik zu machen, nachdem er täglich stundenlang vor dem Fernseher MTV und Channel U verfolgt hat. In der Schule lernt er Freunde aus seiner Gegend kennen, die bereits etwas Erfahrung haben und erste Songs im Internet hochladen.

"Damals war mir gar nicht klar, dass ich Geld verdienen könnte, indem ich Musik in meinem Schlafzimmer aufnehme und sie dann ins Internet stelle. Es war mindblowing und sehr inspirierend für mich, als ich gesehen habe, welche Resonanz einige Songs von Freunden damals auf MySpace bekommen haben." Zusammen experimentieren sie viel herum und probieren sich vor allem im Grime, doch Jeshi selbst traut sich erst sehr viel später, seine eigenen Tracks der Außenwelt im Netz zu zeigen. Diese sind von Beginn an geprägt von anderen Stilen, vor allem typisch britischen Genres: "Ich bin einfach stolz darauf, wo ich herkomme und es ist mir wichtig, verschiedene Sounds aus dem UK einfließen zu lassen, die mir viel bedeuten und sie anschließend auf meine Weise zu interpretieren."

Er lässt sich dabei nicht von irgendwelchen Szene-Konventionen aufhalten, sondern versucht sich bewusst von seinen Kolleg*innen abzugrenzen: "Mich hat nie so wirklich interessiert, was andere vor mir gemacht haben, ich wollte viel lieber was Eigenes kreieren." Als Vorbilder nennt er keine US-Rap-Heroes, sondern Bands und Artists, die sich ebenfalls über Konventionen hinwegsetzen, wie z.B. The Prodigy, Portishead, Dizzee Rascal oder Massive Attack.

Inhaltlich fokussiert sich Jeshi zunächst auf politische Themen aus seinem Umfeld und stilisiert sich als Kämpfer für die Arbeiterklasse und gegen soziale Ungerechtigkeit. Als Jugendlicher wird er laut eigener Aussage mehrfach Opfer des sogenannten Stop and Search, einem Gesetz bei dem die Polizei ohne offensichtlichen Grund und Durchsuchungsbefehl Personen anhalten, ihre Fahrzeuge durchsuchen und festnehmen kann. Diese Praxis führt zu einer offensichtlichen Diskriminierung von nicht-weißen Menschen und sorgt in den 80er Jahren sogar für Aufstände. Als einschneidendes Erlebnis berichtet Jeshi von einem tätlichen Angriff, dem er als 15-Jähriger vor seiner ganzen Familie ausgesetzt war. Gleichzeitig beschreibt er die Entscheidung, sich nicht zu rächen als einen Schlüsselmoment in seinem Leben. Stattdessen kanalisiert er seine Erlebnisse in seine Musik. Dazu nutzt er kostenlose Technik seiner Schule und nimmt alles in seinem Schlafzimmer auf.

So entsteht 2016 seine erste EP "Pussy Palace". Die Experimentierfreudigkeit hört man hier schon deutlich heraus, Jeshi spielt mit Sounds, Effekten und seiner Stimme. Zudem knacken drei von fünf Songs nicht mal die anderthalb-Minuten-Marke.

Es folgen 2017 ein Auftritt beim beliebten YouTube-Format Colors und die zweite EP "The Worlds Spinning Too Fast". Dieses Release lässt bereits eine klarere Struktur erkennen, ohne etwas vom experimentell-chaotischen Charakter einzubüßen. Der Opener "Paranoid" featured zudem ein Instrumental des britischen Produzenten Mura Masa, der bereits im Vorjahr seinen Durchbruch mit der Hitsingle "Lovesick" mit A$AP Rocky hat und im gleichen Jahr sein Grammy-nominiertes Debüt veröffentlicht. Endgültig im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit in Großbritannien kommt Jeshi jedoch erst 2020 mit seiner dritten EP "Bad Taste" an. Darauf befinden sich u.a. die beiden erfolgreichen Songs "Coming Down" und "30,000 Feet" mit Brit-Awards-Gewinnern Celeste. Jeshi scheint seinen Stil endgültig gefunden zu haben.

Trotzdem dauert es noch zwei weitere Jahre bis er sein Debütalbum "Universal Credit" auf den Markt bringt, benannt nach einem stark kritisierten Sozialversicherungssystem für niedrige Einkommen, das 2010 von der Conservative Party ins Leben gerufen wurde. Auf dem Cover sieht man den Rapper selbst mit einem überdimensionalen Check über £324.84, genau dem Betrag, den er über Universal Credit monatlich bekommen hat, während er das Album fertiggestellt hat. Der Longplayer sammelt von allen Seiten Lob ein, The Guardian bezeichnet ihn sogar als "an era-defining album". Zudem beinhaltet es mit "Protein" (feat. Obongjayar) Jeshis ersten kleinen Hit, der inzwischen knapp 12 Millionen Klicks nur auf Spotify eingesammelt hat. Das Video zum Song "3210" erhält zudem einen AIM Independent Music Award in der Kategorie "Best Independent Video" sowie eine Nominierung für die UK Music Video Awards.

Nach einer weiteren EP mit dem Titel "The Great Stink" in 2023, sowie Soundtrack-Beiträgen zum Videospiel EA Sports FC 2024 und der Serie "Top Boy" folgt im Januar 2025 das zweite Album "Airbag Woke Me Up". Inspiriert vom jugendlichen Leichtsinn eines jungen Erwachsenen, als er sich völlig übermüdet in der Nacht hinters Steuer seines Autos setzt, einschläft und deshalb einen Unfall baut. Der Airbag rettet damals sein Leben, bringt ihn zum Umdenken und steht auch auf dieser Platte für ein Erwachen und eine Neuausrichtung, die Jeshi im Vergleich zum Vorgänger gemacht hat. Die Schublade des politischen Rappers war ihm zu klein. Deshalb dreht sich die neue LP weniger um seine Vergangenheit und die politischen und sozialen Ungleichheiten seiner Heimatstadt, sondern erkundet, was passiert, wenn man harte Zeiten hinter sich gelassen hat und wie sie die eigene Sicht auf die Welt verändert. Soundtechnisch bleibt er sich insofern treu, dass er absolut keine Grenzen kennt und sich über alle Konventionen hinwegsetzt, wenn er neben klassischem Hip Hop-Sound u.a. auch Einflüsse aus Drum’n’Bass und Trip Hop zulässt. Aber auch seine spezielle Stimme wird zu einem Instrument, das sich äußerst vielseitig einsetzen lässt.

Jeshi interpretiert Rap auf seine ganz eigene Weise, möchte Statements setzen und Reaktionen auslösen. Dieser Ansatz bringt ihm (noch) nicht die ganz großen Zahlen, aber eine Heerschar treuer Die-Hard-Fans, die noch wirklich Tonträger und Merchandise kaufen und über die Grenzen des UK hinaus zahlreich zu seinen Konzerten auf der ganzen Welt kommen. Dazu kommen Festivals ohne jegliche Genre- und Ländergrenzen von Glastonbury im Süden Englands über das Reeperbahn Festival bis zum SXSW in den USA.

Alben

Termine

Fr 21.02.2025 Hamburg (Hebebühne)
So 23.02.2025 Berlin (Privatclub)
Mo 24.02.2025 Köln (YUCA)
Alle Termine ohne Gewähr

Surftipps

  • Bandcamp

    Jeshi im Stream

    https://jeshi.bandcamp.com/
  • Offizielle Seite

    Merch, Tourdaten, Newsletter usw.

    https://jeshi.co/
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    Netzwerk

    https://www.instagram.com/jeshi__/

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