laut.de-Kritik

Country, Funk, Rhythm And Blues und Kokain.

Review von

Raufbold, Saufkumpel, Junkie, Schnorrer, Choleriker. Das Bild, das Bekannte von Jim Ford zeichnen, ist nicht gerade schmeichelhaft. Streitereien und offenen Rechnungen zum Trotz zeigen sich aber alle begeistert von seinen musikalischen Fähigkeiten als Songwriter und Wandelnder zwischen Genres, die bis Ende der 60er Jahre weitgehend getrennte Wege gingen: Country, Funk und Rhythm And Blues. Ford verband sie zu einem "weißen Soul", was ihm Respekt von schwarzen Musikern wie Sly Stone, Bobby Womack und Aretha Franklin einbrachte.

Nach seinem plötzlichen, aber nicht wirklich überraschenden Tod im November 2007 bleiben von Ford zwei Hitsingles ("Nicky Hoeky", "Harry Hippie"), ein Album ("Harlan County", 1969) und verschiedene Mastertapes übrig, die wahllos verstreut auf dem Boden seines Wohnwagens lagen. Nach der Wiederveröffentlichung von "Harlan County" mit Bonus-Material unter dem Titel "Sounds Of Our Time" (2007) bietet das vorliegende Album eine Auswahl aus dem Fußbodenfundus.

Neben dem ausführlichen und informativen Booklet sticht daraus das Demo von "Harry Hippie" hervor. Verglichen mit der Version Womacks, der das Stück 1973 in die Charts führte, schneidet Ford erwartungsgemäß schlechter ab, denn es fehlten ihm sowohl der Soul in der Stimme als auch die Intensität des Gitarrenspiels, die Womack auszeichneten und ihn, zusammen mit dem gemeinsamen Kumpel Sly Stone, zu einem der wichtigsten Interpreten der frühen 70er Jahre machte. Die scheinbar fröhliche, bei genauerem Hinhören eher melancholische Grundnote bleibt aber auch bei Ford erhalten.

So interessant wie die Stücke ist ihre Geschichte. Der Opener "I'm Ahead If I Can Quit While I'm Behind" stammt wahrscheinlich von einer Aufnahmesession, die 1971 in England stattfand. "Jim hatte offenbar sehr viele Drogen zu sich genommen … Als wir mit dem Auto vom Flughafen nach London fuhren, kramte er einen Riesenbeutel Kokain aus seiner Unterhose", erinnert sich Labelbesitzer Dave Robinson im Booklet. Das Lied, Gitarre und Stimme, könnte auch von Kris Kristofferson stammen.

"Jim Ford war ein großartiger Typ, ein guter Kerl und der Autor verschiedener toller Songs", lobt Robinson, obwohl die katastrophale Session zu keinen verwendbaren Ergebnissen führte. "Jimmy war ein super Typ, einer der kreativsten Menschen, denen ich jemals begegnet bin. Und ich habe mit vielen Leuten mit viel Talent zu tun gehabt", erklärt auch Womack, der von Fords Songwriting direkt profitierte und mit "Point Of No Return" einen weiteren Erfolg feierte.

Scheint das Stück mit pumpendem Bass, Streicherbegleitung und weiblichen Chören so gut wie fertig, handelt es sich bei "Go Through Sunday" und "Sweet Baby Mine (You Just A…)" um vorwiegend gitarrenbegleitete Demos einer erfolglosen Session von 1970. Eine Kuriosität ist "Look Again", das 1968 als Single erschien. Ein Fan, der sie auf einer Plattenmesse gefunden hatte, spielte sie dem Zusammensteller und Ford-Experte L-P Anderson zu, der von ihr noch nie gehört hatte. Nicht wirklich überraschend, da der Songwriter ständig pleite war und seine Songs mehrfach zu verkaufen pflegte.

Die restlichen Aufnahmen stammen wahrscheinlich von 1973, als Ford eine letzte Chance zur Aufnahme eines Albums erhielt. Auch daraus wurde nichts, was sich daran erkennen lässt, dass die Arrangements meist noch ziemlich roh klingen und die Aufnahmequalität mehr oder weniger mies ist. Offenbar sah sich Ford in dieser Phase vor allem als Country-Sänger, der sich von Sessionmusikern begleiten lässt. Dabei sticht seine Coverversion von Eddie Arnolds "Bouquet Of Roses" hervor. Nur stellenweise kommt der Funk aus früheren Tagen zum Vorschein, etwa in "Don't Hold Back What You Feel" und vor allem "If I Go Country", das an Sly & The Family Stone erinnert, wobei Stone möglicherweise persönlich an der Aufnahme beteiligt war.

In den folgenden Jahren tauchte Ford unter und lebte unerkannt in einem Wohnwagenpark im Norden Kaliforniens. Eineinhalb Jahre nach seiner Wiederentdeckung starb er im November 2007 einsam in einer Wohnung. "Jim hat einen Song mit dem Titel 'Living Room Star' geschrieben. Genau das war er. Er hatte Schiss, auf die Bühne zu gehen, aber bei jeder Party war er der Lauteste", verabschiedet sich der einstige Weggefährte Womack von ihm. Schade, dass Ford außer einer Handvoll Songs, einem Album und unfertigen Demos in seinem Leben nicht mehr auf die Reihe gekriegt hat.

Trackliste

  1. 1. I'm Ahead If I Can Quit While I'm Behind
  2. 2. Point Of No Return
  3. 3. Harry Hippie
  4. 4. Go Through Sunday (Slow Version)
  5. 5. Sweet Baby Mine (You Just A...)
  6. 6. Look Again
  7. 7. Mill Valley
  8. 8. Just Cause I Can
  9. 9. Stoppin' To Start
  10. 10. Don't Hold Back What You Feel
  11. 11. It's My Life
  12. 12. If I Go Country
  13. 13. Big Bouquet Of Roses
  14. 14. He Turns My Radio On (Sacred Version)
  15. 15. Whicha Way (I Wonder What They'll Do With Today), 1973 Version
  16. 16. If You Can Get Away (She Don't Need Me Like I Need You)

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Jim Ford

Es hätte eine Neuauflage des Gleichnisses vom verlorenen Sohnes sein können, der in die Welt zieht, sein Vermögen und Talent verprasst, schließlich …

Noch keine Kommentare