laut.de-Kritik
Ein Meisterwerk über Zeit, Tod und Liebe.
Review von Markus Brandstetter"Sending the first scouts over,
back from the place beyond the dawn:
Horse, bear your broken soldier,
eyes frozen wide at what went on.
And time, in our camp, is moving
as you'd anticipate it to.
But what is this sample proving?
Anecdotes cannot say what time may do"
("Anecdotes")
Es sind Anekdoten über Vergänglichkeit, Zeit, Tod und Liebe, die uns als roter Faden in jenes Labyrinth locken, das die Ausnahmeerscheinung Joanna Newsom mit ihrem neuen Werk "Divers" geschaffen hat. Fünfeinhalb Jahre nach ihrem Doppelalbum "Have One On Me" kehrt die Harfenspielerin, Komponistin und Sängerin mit einem konzisen, elf Stücke umfassenden Album zurück, ihrem bis dato wohl zu- und eingänglichsten. Zwischen Kunstlied, Folk, Pop und Orchestralem/Klassischen schafft Newsom surreale und wunderschöne Klangwelten, für die sie mit dem Prager Philharmonischen Orchester und den Arrangeuren Nico Muhly und David Longstreth zusammengearbeitet hat.
Harfe und Klavier sind auch von Anfang an auf "Divers" die instrumentellen Fundamente, auch ein Marxophon (eine spezielle, bundlose Zither) und ein Minimoog kommen zum Einsatz, spartanisch an einigen Stellen eingesetzt auch ein Schlagzeug. Phasen von orchestraler Opulenz wechseln sich mit Reduktion ab, die Songlängen variieren von zweieinhalb Minuten ("The Things I Say") bis über sieben Minuten ("Divers"), die Stücke brauchen ihrerseits keine Abzweigungen und Weggabelungen um den Punkt zu kommen. "Divers" ist einladend, verführend, zieht einen schnell in seinen Bann.
War auf "The Milk-Eyed Mender" noch Newsoms oft doch recht extravagant hohes Stimmtimbre noch ein Hindernis für den einen oder anderen Hörer und die eine oder andere Hörerin, die die Songs und die Musik an sich ansonsten durchaus bemerkenswert fanden/gefunden hätten ("Die singt wie eine Siebenjährige", "Die quietscht mehr als sie singt" und ähnliches war zu hören) bietet Newsoms immer noch bemerkenswerte, aber etwas, nun, dezentere Stimmperformance auch in dieser Hinsicht vielleicht einen neuen Zugang zum Werk der Künstlerin für jene, die bis dato noch nicht zu überzeugen waren.
Tod und Liebe sind auf "Divers" eng umschlungen: "Jeder wird älter", erzählte Newsom in einem Interview mit dem Uncut Magazine, "Als ich diese Linie in meinem Kopf überquert habe und ich wusste, dass ich mit der Person zusammen bin, die ich heiraten will, war das ein sehr schweres Ding, weil du in dem Moment den Tod in dein Leben einlädst. Auch wenn es hoffentlich noch viele, viele, viele, viele Jahre dauert, aber die Idee des Todes hört auf, etwas Abstraktes zu sein, weil da jemand ist, bei dem du es nicht vertragen könntest, ihn zu verlieren. Wenn sich das setzt, wenn sich das als wahr etabliert, dann ist es wie ein kleiner Schatten an Trauer, der reinkommt, wenn die Liebe in ihrer wahrhaftigsten Form da ist. Dann trägt sie den Tod in sich, und dann trägt der Tod die Liebe in sich."
"Love is not a symptom of time / Time is just a symptom of love", bringt sie dieses Thema im letzten Song, "Time, As A Symptom" auf den Punkt.
Einmal mehr bringt Joanna Newsom als Texterin substanzielle Epik im Songrahmen unter und erzählt in wenigen Minuten Geschichten, die sich wie spätromantische englische Poesie lesen. Chiffriert und mystisch, nach allen Ecken und Enden offen und doch stets bemerkenswert präzise ist Newsoms Lyrik.
"Make it stop, my love!
We were wrong to try.
Never saw what we could unravel,
in traveling light,
nor how the trip debrides–
like a stack of slides!
All we saw was that Time is taller than Space is wide
That's why we are bound to a round desert island,
'neath the sky where our sailors have gone.
Have they drowned, in those windy highlands?
Highlands away, my John."
("Waltz Of The 101st Lightborne")
"Divers" lockt uns in Irrgärten und verbotene, verlorene, vergessene, phantastische Orte. Es verstrickt uns in Mythologien und in Seemannsgarn, es betört uns mit Metaphorik und Rätseln. Mit Rätseln, die wir aber gar aufgelöst haben wollen, in denen wir uns viel lieber noch ein paar Minuten, Stunden und Tage staunend aufhalten wollen. Am Ende bleibt das Wunder, der Schmerz, das Ende, die Liebe:
"And in an infinite regress:
Tell me, why is the pain of birth
lighter borne than the pain of death?
I ain't saying that I loved you first,
but I loved you best"
("Divers")
"Divers" ist ein Werk von ungeheurer Substanz, das es in möglichst vielen Hördurchgängen zu erkunden gilt, lyrisch wie musikalisch. Ob man den vielen Spuren und Fährten und der Metaphorik nun analysierend auf den Grund gehen, es entschlüsseln mag oder sich einfach nur in dieser surrealen, kammermusikalischen Liedlandschaft alles mit großen Augen anschauen und anhören mag, ist zweitrangig.
Wie man es auch dreht und wendet: Es ist ein Meisterwerk, das Joanna Newsom hier geschaffen hat.
16 Kommentare mit 33 Antworten
traumhaft schönes album wo jeder ton, jeder gesangseinsatz, jedes vogelgezwitscher stimmig einsetzt. zugänglicher als ihre vorherigen werke (oder man hat sich mittlerweile an den stil gewöhnt).
alles andere als album des jahres wäre untertrieben. sorry steven wilson.
https://www.youtube.com/watch?v=s0VTfB7nAH4
bestes vid ever !
Wenn man die Aussage einiger ihrer Lyrics und deren Darbietung analysiert, kommt man zu dem Schluss, dass es die großartigste und profundeste Erfahrung der Welt sein muss, Sex mit dieser Frau zu haben.
Diese Mischung aus unglaublichem Talent und gleichzeitig unglaublich übersteigertem Ego wird auch als "Laura Marling-Phänomen" bezeichnet.
die aussage des ersten absatzes würde vermutlich nicht nur ich gerne auf seinen wahrheitsgehalt hin prüfen.
aber woraus leitest du ein übersteigertes ego ab?
Von sich selbst?
davon zum beispiel, wie die dame sich inszeniert. und von einigem aus den lyrics.
für catch wäre es ja schon mal eine profunde erfahrung überhaupt sex zu haben
catch, der don juan der weight watchers
Ihr wart früher auch mal lustiger.
die thematik um den korpulenten mähnenzottel ist ja auch eher von trauriger natur
ausserdem, wer sagt das wir lustig sein wollen?
oder gar relevant?
wir geben dir doch die bühne also sei dankbar.
weiche, genrefremder
notgeile speckwichtel repräsentieren kein genre
du warst früher auch mal lustiger
Seit 'Ys' nicht mehr gehoert. Mal
schauen.
Sicherlich alles sehr künstlerisch wertvoll, aber zu der werde ich nie einen Zugang finden. Keine Lust ein Album 20x laufen zu lassen, um mir das "schönzuhören".
sehr schade komm mit dieser stimme auch einfach nicht klar, so sehr ich mich auch zwinge. finds echt absolut schade, weil die qualität der musikalischen arrangements ja wirklich überragend ist.. "anectodes" wäre so toll, wenn ich nicht immer wieder zusammenzucken müsste bei diesem gequäke bei der single "sapokanikan" ist der gesang im vergleich dazu tatsächlich eher dezent und musikalisch steigert sich der song subtil, aber stetig bis zu einem wunderschönen finale, sodass er mich immer wieder mitreißt. und wenn sie so lieblich flüsternd singt wie (meistens) im verspielten "goose eggs" oder wenn sie, wie bei "leaving the city", nur dann laut wird, wenn ihr musikalisch opulent paroli geboten wird, ist es auch voll ok. aber immer dann, wenn sich wieder so ein quäken dazwischenmischt, geht die atmosphäre komplett flöten und ich werde wirklich wütend, weil ich aufs unangenehmste rausgerissen werde, zumal die stimme ja nicht mit der musik verschmilzt, sondern sie deutlich übertönt.
vielleicht kann sie einfach nicht anders singen. oder sie kann, möchte aber nicht, weil tatsächlich nur diese stimme mit dieser art des vortrags ideal für diese art von musik ist - und ich habs nur noch nicht erkannt, denn immerhin kann sie mit ihrem gesang spielend mit der dynamik der musik mithalten. hatte bisher nicht die muße, mich mit den texten ausführlicher auseinanderzusetzen und vielleicht hilft es, wenn man das tut und sie sich dann bildlich vorstellt als eine dichterin, die, auf einem ast sitzend in einer romantischen szenerie, ihre eigenen verse deklamiert. aber dazu fehlen mir zur zeit echt die geduld und die vorstellungskraft sehr schade..
Gönn dir lieber Vessels. Spielen am Freitag in nem winzigen Club in Kalk für sage und schreibe acht Euro. ^^
gestehe, kannte vessels bisher nur vom namen. wurden mir vor so einigen jahren mal empfohlen zusammen mit enter shikari, direkt nach nem auftritt von ASIWYFA in england ^^, hab aber nie reingehört hör mir seit deinem post "white field and open devices" an und finde es ziemlich gut. krass abwechslungsreiches ding, mit math-rock-anteilen, elektro und gesang in gelungener kombination, obwohl ich im post-rock eher andere schwerpunkte lege. werd mir das album aber definitiv häufiger geben
logistisch klappts leider nicht mit dem konzert bin aus bochum und muss an den meisten wochenenden, so auch an diesem, arbeiten
kennst du, als kleinen geheimtipp, the shaking sensations mit "east of youth"?
@Morpho: Also ich hab' für das Ticket 13,90€ bezahlt. Betrug!
wobei 13,90 auch noch human ist, angesichts der heutigen ticketpolitik.
in den 90 ern ist man für nen heiermann ins rhenania getingelt, hat 4 bands geboten bekommen, und durft sich mit bierchen via seinem rucksack selbst versorgen.hat kein hahn nach gekräht.
da haben konzis noch spass gemacht.
So so, Bochum. Da war ich am Samstag zum ersten Mal fürs Mother's Cake Konzert im Matrix. So ne Stadt, die man wohl kein zweites mal erlebt haben muss.
Ich meinte übrigens, dass Vessels am Samstag spielen.
The Shaking Sensations sagt mir nichts. Hör ich mal rein. ^^
Macht Sinn, am Freitag sind sie ja in Berlin, hatte Kalk überlesen.
Das gibt Köln Kalk Verbot!
@ morpho: home is where your heart is und die matrix ist doch n spitzen schuppen! in dem stadtteil (bochum-langendreer) hab ich im übrigen ne zeit lang gewohnt ^^ die besten konzerte hab ich aber zugegebenermaßen in gebäude 9 erlebt.
So ganz konnte ich meine Klappe zu dem Album dann doch nicht halten:
http://www.kaput-mag.com/catch_de/joanna/
das mit deinem hund tut mir leid, dass arme tier
kann man den frau newsom iwie in rechnung stellen ?
Ich habe ihn wieder gefunden. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.
Ist ja süß, wie du versuchst, einen auf Konterkultur zu machen, aber angesichts der 4/5-Wertung für das letzte Miley-Album wirkt das Ganze nur wie die Fortsetzung einer lächerlichen Geschmacksverirrung.
Ich würde nach wie vor lieber 24 Stunden Miley als einmal "Divers" hören. Davon abgesehen habe ich dich natürlich auch lieb.
album interessiert mich nicht die bohne. aber kabelgates selbstversuch ist durchaus unterhaltsam!
"Ich würde nach wie vor lieber 24 Stunden Miley als einmal "Divers" hören"
Erstaunlich, wie durch soviele famose Verisse angesammelte Cred aus dem Fenster wandert. Das und der oben verlinkte Hipster-Orgasmus. Sorry, Kabelschwitz