laut.de-Kritik
Die Einsamkeit eines großen Romantikers.
Review von Rinko HeidrichDie Rezeption von John Denver fällt gerade hier in Deutschland immer noch gemischt aus, falls die Leute überhaupt den großen Songwriter hinter "Take Me Home, Country Roads" kennen. Dieser nicht mal stärkste Song auf Denvers viertem Album "Poems, Prayers & Promises" erlangte durch absolute verachtenswerte Stimmungspornografen wie die Hermes House Band einen denkbar miesen Ruf. Vielleicht verhinderte auch das stets freundliche und ruhige All American Guy-Image von John Denver, dass er wie Johnny Cash als Rebell des Country in Erinnerung bleibt.
Dass hinter der Erdkundelehrer-Aura von Denver auch viel Traurigkeit steckte, hätte man seinen stets melancholischen Songs schon anhören können, aber gerade die letzten Jahre seines Lebens verliefen unglücklich. Alkoholsucht, Affären und sogar Suizidgedanken warfen einen dunklen Schatten auf einen komplexen Charakter, der mit dem Song "Leaving On A Jet Plane" auf seinem Debütalbum "Rhymes & Reasons" fast schon seinen tragischen Tod vorausahnte.
Ein unglückliches Ende eines zu Unrecht verschmähten Liedermachers, der vor ein paar Jahren mit dem Tribute-Sampler "The Music Is You" von Indie-Künstlern wie Dinosaur Jr., Sharron van Etten und Emmylou Harris endlich gewürdigt wurde. Fast symbolisch für seine Karriere, die ihn zu einem der größten Superstars der Siebziger aufsteigen ließ und dann in einem Sturzflug endete. Denver hatte leider während seines Lebens die Möglichkeit oder die Chance vertan, eine Wiederentdeckung wie Johnny Cash zu erfahren. Der gilt bis heute durch alle Altersgruppen als der große Schmerzensmann des Country, der stetig in Schwarz gekleidet den kantigen Außenseiter gab. Ironie dabei: Cash sollte ursprünglich "Country Roads" singen.
Große Mystik war ebenso wenig John Denvers Ding. Es gibt keine Doppeldeutigkeit in "Sunshine On My Shoulders". Nach all den dunklen, kalten Wintertagen dringt endlich wieder Sonne durch und lässt wieder Leben in Natur und Mensch erwachen. Eine Szenerie, die man natürlich auch sehr gut auf das melancholische Gemüt von Denver übertragen kann. Vor allem dringt durch seine Stimme eine absolute Traurigkeit und Sehnsucht, die jeder sofort aufnimmt, der nach einer langen Dunkelheit endlich wieder Hoffnung verspürt. "Sunshine On My Shoulders" ist kein Bob Dylanesker Song, einfach ein kompletter stimmungsvoller Song, der aus einem Wintertag ein hymnisches Gefühl des Überlebens erschafft und wieder ein Gespür dafür weckt, dass es doch allen Widrigkeiten zum Trotz auch schöne Momente gibt. "Sonnenschein auf dem Wasser" mag ein kitschig-einfaches Sprachbild sein, aber eben auch universell verständlich und direkt aus dem Herz von Denver. "Ich bin ein Weltbürger. Meine Lieder sollen überall Menschen ansprechen", sagte der Mann über die Botschaft seiner Musik, dessen Wurzeln in der Ukraine lagen und zu der er für ein Benefizkonzert 1986 zugunsten der Tschernobyl-Opfer zurückkehrte.
"John fühlte sich sehr allein. Wenn du seine Songs genauer anhörst, ist da eine Menge Einsamkeit. Er war romantisch im besten Sinne und die Welt kann verdammt hart zu solchen Menschen sein", sagte einmal seine erste Ehefrau. In Colorado fand er vielleicht eine Art Ruhe, die er als Kind nie hatte. Ständig wechselte er mit seiner Familie den Wohnort, was ihn zu einem in sich gekehrten Außenseiter-Kid machte. Eigentlich ursprünglich in New Mexico aufgewachsen, fand er in den Rocky Mountains eine Ruhe vor, für die er sich als Aktivist auch oft einsetze. Millionen gingen zudem in Projekte zur Rettung der Weltmeere oder in die Weltraumforschung.
Vielleicht weil er die Ruhe schätzte, die ihm das Leben selten gab und die er dort in den Wäldern und Bergen fand. "I'd like to sail away / And dance across the mountains on the moon". Für solche Lyrics aus "Poems, Prayers And Promises" gab es gerade zu den Zeiten seines großen kommerziellen Erfolgs in den Siebzigern massiven Spott. "Micky Maus des Rock" war noch eine der netteren Bezeichnungen von der hippen Musikpresse. Der Typ eben, den deine Mutter gut fand und an dem auch Konservative im Gegensatz den kontroversen The Doors durchaus Gefallen fanden. Heute hören sie selber rein und holen sich mit John Denver eine kindliche Unschuld zurück, die der zurück gezogene Songwriter stets selber suchte. Immer wieder geht es um Momente in seinen Liedern, die Stille, Trost und Ruhe versprechen, und um eine wehmütige Sehnsucht nach (s)einer verlorenen gegangenen Welt. So grundehrlich und ohne schützenden Image-Filter vorgetragen, dass er praktisch eine überdimensionale Zielscheibe für Zyniker auf der Stirn trug.
In "My Sweet Lady" sogar mit dem ernsten Hintergrund, dass er Abschied von einem geliebten Menschen nimmt. Der real existierende Background war, dass hier eine junge Mutter mit einer aggressiven Art von Knochenkrebs eine Behandlung ablehnte, um noch komplett ihr Kind da sein zu können."Lady, you've been dreaming / I'm as close as I can be / And I swear to you / Our time has just begun". Was ohne diese Information wie ein gutgläubiger erster Liebesschwur klingt, ist in Wirklichkeit ein bitterer Abschied. Obwohl Denver dieses Schicksal nie widerfuhr, taucht er mit voller Empathie in seinen Folk-Klavier-Song ein und singt mit Inbrunst und Verzweiflung und zum Schluss mit Zärtlichkeit gegen das Unvermeidliche an. Ironisch, metaphorisch oder nihilistisch? Nein. Eher mit dem Wunsch, dass aus Schmerz noch ein letztes Mal etwas Schöne entsteht. Passend natürlich zum Zustand der amerikanischen Seele, die während und nach dem Vietnam-Krieg eine Therapie für das Trauma suchte. Auch die Coverversionen fügen sich in dieses Narrativ nach Heilung ein. "Let It Be" von Paul McCartney und "Fire & Rain" von James Taylor. Beides Abschiedssongs, die von einem tragischen Verlust handeln.
Wütender dagegen "Wooden Indian"."Now I am a wooden Indian / Standing silent in the rain / Swear by my grandfather's father / We're gonna rise again". Der für Denver schon fast raue Folk-Blues-Song klagt an, wie Amerika mit seinen Ureinwohnern umgeht, und kündigt an, dass eines Tages Rache erfolgt. Auch hier wieder etwas naiv, aber es ist die absolute Ehrlichkeit in Denvers Stimme, die seinen Protestsong über zu große Banalität erhebt.
Stets ließ er seinen romantischen Texten auch Taten folgen. Johns Vater kämpfte selber im Krieg, und seine Kinder wuchsen praktisch mit ihm auf Militärstationen auf. Es bleibt also verständlich, wie wenig Gefallen der empfindsame John an Militär und Krieg empfand. So endet das Album mit dem Gedicht "The Box" von Kendrew Lascelles, einem Schauspieler und Aktivisten, dessen Auftritte Denver so sehr begeisterten, dass er unbedingt seinen Text auf seinem Album einsprechen wollte. Die Sinnlosigkeit des Krieges konnte natürlich auch nicht dieser Text aufhalten, doch "Poems, Prayers & Promises" bedeutete den endgültigen Durchbruch und Beginn einer Karriere, die in den Siebzigern auf einer Stufe mit den Allergrößten des Business stand, inklusive eigener TV-Show.
Wie nach Drehbuch auch das Ende John Denvers mit gerade mal 53 Jahren. Von seinem Vater hatte er die Leidenschaft für Flugzeuge übernommen und stieg am 17. Oktober 1997 zu einem Flug auf, von dem er nicht mehr lebend zurückkehren sollte. Das Flugzeug wurde aus dem Pazifik geborgen, seine Asche anschließend über den Rocky Mountains verstreut. Als wollte er noch einmal zu den Elementen zurückkehren, die ihm so wichtig waren. Ein Freund hatte ihn einmal gefragt, ob er sich seines gefährlichen Hobbys und dessen Konsequenzen bewusst sei. Seine Antwort :"Dann würde ich mit einem Lächeln auf den Lippen sterben".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
1 Kommentar
Toller Beitrag, vielen Dank… Das macht mich sehr traurig, vieles, das ich nicht wusste …