laut.de-Kritik
Hinter den simplen Songs steckt kein simpler Geist.
Review von Michael SchuhAuf Platten von Jonathan Richman kann man immer etwas lernen. Zum Beispiel den feinen Unterschied zwischen Hetero- und Homobars, dass in Amerika sesshafte Iren nicht zwangsläufig in Irish Pubs verkehren oder warum es manchmal im Zweifel besser ist, ein bisschen weniger geliebt zu werden.
Das neueste Werk des nach San Francisco umgesiedelten Songwriters ist das erste in drei Jahren und knüpft musikalisch nahtlos an den Vorgänger "Not So Much To Be Loved Than To Love" an. Wie einst der große Poet Dylan benötigt der von seinen Fans ähnlich angebetete Richman zum Transport seiner Message kaum mehr als Akustikgitarre und ein glockenhelles Organ. Nicht zu glauben, dass der Kerl langsam auf die 60 zugeht.
Sein Kunstinteresse mündet nach Hommagen an Picasso, Van Gogh und Dali diesmal in ein Tribute an den "Licht- und Schatten"-Künstler Vermeer. Mit seinem Flamenco-artigen Gitarrenanschlag gehört die Nummer zu den besten der Platte. Den holländischen Barockmaler spricht man im Übrigen auf englisch "wörmier" aus. Wieder was gelernt.
Das alles erzählt uns ein Mann, der Mitte/Ende der 70er Jahre im Auge des Punk-Orkans zunächst auf Bostoner Konzertbühnen trat und seine damals noch aktiven Modern Lovers zu wenigstens zwei Studioalben trieb, die jeder Indierock-Besserwisser besitzen sollte.
Sein stets einfach gehaltenes Gitarrenspiel, gepaart mit kindlich-frivolem Humor, der sich auch mal in Abhandlungen über Dinosaurier und mobile Eisverkäufer ergeht, mochte damals so gar nicht den auf Rebellion ausgerichteten Zeitgeist treffen. Dabei gilt sein "Roadrunner" vielen bis heute als erstes Punk-Stück überhaupt.
Richman wars egal, er überlebte die Zeiten, die ihm eine eingeschworene Fangemeinde bescherte und irgendwie auch die lange Auszeit danach, in der er auf genau jene angewiesen war.
Und mit "Because Her Beauty Is Raw And Wild" legt die Kultfigur der US-Indie- und Antifolk-Szene mal eben eines seiner besten Soloalben vor, das nicht nur wie viele Vorgänger vor Witz sprüht, sondern auch mal wieder überzeugende Songs aufführt.
Der Titeltrack gibt die minimalistische Richtung vor: Richmans Stimme, Akustikgitarre, hier und da Percussions, fertig. Das alles aber sorgfältig arrangiert und in schlüssige Songformen gegossen. Auch französische und wieder einmal spanische Fans dürfen sich Richmans Dialekt erfreuen.
Herausragend gerät das düstere, an Velvet Underground erinnernde "Old World" und das beinahe schon als Hit zu bezeichnende "When We Refused To Suffer", das in einer zweiten Version mit E-Gitarre beinahe noch mehr Charme entwickelt.
Mit "Here It Is" kommt sogar noch ein Leonard Cohen-Song zu Ehren, den ich trotz Unkenntnis des Originals ebenfalls als gelungen bezeichnen möchte.
Dass man einmal mehr auf Richmans Texte achten sollte, machen in guter Tradition wieder einige Songtitel deutlich, zuvorderst wohl "Lovers Are Here And They're Full Of Sweat". Wenngleich die lyrische Schwelle zum Gebiet des Harhar-Humors oftmals gering erscheint: Hinter den simplen Songs steckt kein simpler Geist.
3 Kommentare
läuft gerade zum ersten mal durch.
"no one was like Vermeer" ist ja für sich schon ein kleinod.
schöner folgetrack zum legendären pablo picasso "asshole"-song.
ich habe seit jeher nur manchmal probleme mit seiner art zu singen. das wirkt manchmal irgendwie parodistisch.
aber vielleicht nehme ich das auch nur seine "crazy for mary" soundtrackarbeit so wahr.
man fragt sich immer, ob der mann das alles ernst meint oder den hörer per se verspottet.
toller songwriter!
@dein_boeser_Anwalt (« man fragt sich immer, ob der mann das alles ernst meint oder den hörer per se verspottet. »):
ich denke mal, verarschung ist sein motto
("back in the u.s.a." )