laut.de-Kritik
Liebe ist ... Sünde, Brecheisen und schummriges Zwielicht.
Review von Manuel BergerSizarr sind tot – es lebe Jungstötter! Gleich der Hydra sprießen aus dem vermeintlich leblosen Stumpf des Landauer Trios neue, hungrige Köpfe. Gitarrist P.A. Hülsenbeck legte Ende 2018 mit seinem Solodebüt "Garden Of Stone" vor, jetzt zieht Frontmann Fabian Altstötter nach, nutzt die in den vergangenen Jahren gesammelte Erfahrung und schafft sich eine eigene Identität.
"Love Is" hat abgesehen von der Personalie nichts mehr mit dem Revolutionspop Sizarrs zu tun. Als Jungstötter kehrt Altstötter der Elektronik fast komplett den Rücken. Er entwirft ein traditionelles Soundbild, mit dem Klavier im Herzen. Jungstötter, das klingt irgendwie gediegen, leicht staubig, aber falsch ausgesprochen eben auch linkisch, verboten, gefährlich.
Dazu passt die Musik, in der Kontrabass und jazziges Schlagzeug die schummrige Atmosphäre prägen, punktuelle Gewaltausbrüche aber die Ruhe stören. Der frischgebackene Wahlwiener reiht sich damit ein in die Riege unbequemer Edelsongwriter wie Nick Cave und Scott Walker: Klangkünstler und Geschichtenerzähler zugleich.
Liebe ist Sünde in der Welt Jungstötters, genauer gesagt "the sin that we waited for". Es herrscht "saturated colorlessness", schwarzes Haar verdunkelt die Morgensonne. Altstötter singt von Brecheisen und schlecht-beleuchteten Bars. Romantik schwingt durchaus noch mit in den oft traurig sinnierten Stücken, aber getaucht in Düsternis und Schmerz, vorgetragen mit großer Geste. Nicht ohne Grund heißt ein Lied "The Wound Wrapped In Song".
Subtil mag hier zwar oft das Instrumentarium sein, der Gesang ist es sicher nicht. Altstötter trägt dick auf, anfangs wirkt seine Stimme in ihrer bedeutungsschwangeren Dramatik beinahe penetrant, etwas prätentiös, Nick Cave strahlt bisweilen Ähnliches aus. Diesen Stil zieht der 27-Jährige konsequent durch, scheint sich immer in Zeitlupe zu bewegen und bald erliegt man der innewohnenden Eleganz. Statt wegzustoßen, saugt seine samtene Stimme dann immer weiter in die bodenlosen Klangräume der Musik.
Offene Kompositionen sind der Schlüssel dafür. Altstötter lässt viel Platz in den Stücken. Er legt grobe Melodielinien, denen die Musiker folgen, beim Ausschmücken aber ums Improvisieren gar nicht herumkommen. Manuel Chittkas (Messer) Schlagzeugspiel klingt intuitiv, wandelbar, die Gitarre reagiert auf Freiräume in der Klavierbasis mal mit einprägsamen Riffs ("Silence"), mal mit getragenen Harmonien ("Love Is"), mal mit shoegazigen Texturen ("To Be Someone Else").
Während Proben und bisheriger Konzerte haben sich einige Songs bereits so sehr gewandelt, dass Jungstötter den Opener "Silence" inzwischen bereits in zwei Minuten längerer Alternativversion veröffentlicht hat. Kein Wunder, lebt die zweite Hälfte der Albumfassung doch vor allem vom freien Zusammenspiel der Band. Inklusive Altstötter am Mikro spielt sie ein dynamisches Ebbe-und-Flut, wunderbar warm in Szene gesetzt von Produzent Max Rieger (Die Nerven, All Diese Gewalt).
Das soll keineswegs bedeuten, dass Jungstötter alles dem Zufall überlassen. Eher im Gegenteil. Jeder Song verfügt über markante Stellen oder Elemente, die aber eben einen Teil ihrer Wirkungskraft aus den sie umgebenden Variablen ziehen. Bei "In Too Deep" fängt Sizarr-Kollege P.A. Hülsenbeck den Schmerz der Musik phänomenal ein, indem er eine sehnsüchtige Gitarrenmelodie absichtlich kaputt spielt.
Ähnlich geht Altstötter in "Love Is" vor, wo er für einen kurzen Moment die Elektronik zurückbringt. Mitten in die schwebenden Duett-Harmonien des Lieds kracht eine brutale Noise-Wand. Bei "Systems" verwendet er Synthesizer, um eine tragische Singer/Songwriter-Gitarrenballade zum fatalistischen Trauermarsch zu transformieren.
Gerade wegen solcher Momente fragt man sich, wie Jungstötter wohl klingt, wenn er die hier nur angedeuteten Tore weit aufstößt und sich auf Albumlänge entfesselt. Noch agiert er bewusst zurückgenommen, intim. Was, wenn der, der momentan nur düstere Gedanken denkt, bald düstere Taten folgen lässt? Altstötter selbst beschreibt "Love Is" als Anfang eines Weges, als Grundstein seines persönlichen Œuvres. Gut möglich also, dass er tatsächlich noch durch einige dieser Türen gehen wird.
Vorerst aber genießen wir schwarze Diamanten wie das mit Cello durchzogene "Black Hair", die komplementäre Zweisamkeit der puren Pianotragödie "The Rain" mit der siebenminütigen, verzweifelten Klimax "To Be Someone Else" und die düsteren, träumerischen Swingmoods von "Sally Ran" und "I Wonder Why". Was Altstötter auf seinem Solodebüt geschaffen hat, ist im besten Sinne zeitlos, zeigt eine klare Vision und Haltung.
Jungstötter bahnt sich keinen neuen Pfad durchs Dickicht der Musikgeschichte, aber er sucht sich auf bestehenden Wegen selbstbewusst seine eigene Route. Darin steckt tatsächlich das Potenzial, mit der Zeit zu den eingangs erwähnten Meistern aufzuschließen. Qualitativ steht er ihnen auf "Love Is" in Nichts nach.
6 Kommentare mit 4 Antworten
Der Vergleich mit Nick Cave ist mehr als nur gewagt....
Finde klingt von der Stimmlage her wie Anthony and the Johnsons
Jungstöter? Versteckte feministische Propaganda?
Nicht völlig auszuschließen bei der Kombination aus Klarnamen und Herkunftsort.
Wobei die Propaganda auf den - zugegeben eher überschaubaren - Kreis der Eingeweihten auch nicht sonderlich versteckt wirkt, sollten diese vermuteten Zusammenhänge tatsächlich existieren. Aber solches Wissen bzw. die Basis für derlei Spekulationen liegt denjenigen Personen, die ihrerzeit eine Zulassung für das altehrwürdige Studium der Psychologie an einem Studienort in Südwest-Deutschland erhalten haben, selbstredend noch a bissl näher...
Shots fired!
Ist das die Rache für meinen "summa cum laude" Kommentar neulich oder wie kommt es zu dieser ausschweifenden Spitze, die man auch locker in einem Halbsatz mit Verweis auf den Klarnamen hätte abhandeln können.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Seine tolle Stimme und auch die Instrumentierung und Stimmung erinnern mich doch sehr an Black. Ganz klar volle Punktzahl für dieses Album.
Seine Stimme erinnert mich eher an Peter Wolf. Der hat auch immer mal ähnliche Stücke wie diese hier auf seinen Alben. Die späten Talk Talk höre ich da aber musikalisch auch durch. Gelungenes Album.
Klingt wirklich sehr nach Nick Cave - und es klingt absolut großartig, wie Jungstötter es hinbekommt. Ganz viel Liebe für diese Platte (Vinylversion ist übrigens ganz exquisit!)