laut.de-Kritik
Nach dem großen Zirkus kommt die Heilung.
Review von Yannik GölzEin ganzes Jahrzehnt schwebt Kacy Hill im Orbit brillanter Musik. Backing-Vocals, Tanz, Modelling bei Kanye Wests Good Music-Label, ein hochkarätiges Feature für Travis Scotts "Rodeo" und Kid Cudis "Passion, Pain & Demon Slayin'". Nur die Hauptrolle hat sie sich nie angemaßt. Auch ein Album und eine EP später tritt Kacy vor allem als Zuarbeiterin im großen Zirkus auf, als Ringanzünderin, Trapezfesthalterin, Dompteurin trauriger Clowns.
Letztes Jahr trennt sie sich von Good Music. Das erste Album in völliger Eigenregie lotet ihre künstlerische Identität aus und verhandelt die Unsicherheit, überhaupt allein in die Manege zu treten. Die Platte thematisiert die Bürde des Mittelpunktes, ihn zu ertragen oder zu suchen, in Bezug auf Freundschaften, Beziehungen und ihre Arbeit.
"Is It Selfish If We Talk About Me Again?" ist in diesem Sinne ein fragendes, abwartendes Album. Die Produktion bleibt schweigsam, floureszente Synthesizer und ein glitzernder Dunst aus Backing-Spuren schmiegen sich an Kacys flüsternde Stimme. Die Beats stammen fast durchgehend aus der Feder von Francis And The Lights, der seinen Signatur-Sound nicht anpasst, aber reduziert. Weniger Gospel, weniger Rock, die vereinzelt auftauchenden Gitarren-Strums schrammen beiläufig durch die Textur. Einzig pulsieren immer wieder gefilterte, fast sich selbst verschluckende R'n'B-Rhythmen durch die Ambience von Songs wie "Just To Say" oder "Unkind".
Dieser Minimalismus macht die Songs auf den ersten Blick schwer zu greifen. Flächiger Klang wabert ziellos in offenen Raum, statt griffigem Pop entstehen Texturen, die federleicht und verkopft und sperrig zugleich wirken. Lässt man sich aber auf ihre Sperrigkeit ein, eröffnen sie eine Synergie mit der Protagonistin.
Auf "Porsche" oder "Much Higher" singt sie, als sei die Platte eine erste Therapie-Sitzung. Sie begegnet den komplizierten Fragen und Gefühlen mit Neutralität. Zunächst klingen manche Zeilen wie Allgemeinplätze. Aber Lyrics wie "I can't regret the way I loved you / Am I thinking too much about what I do? / Maybe forgiveness is a waiting room" beschreiben die Paradoxie des Heilens: Die Antworten sind leicht und hören sich manchmal niederschmetternd banal an. Sich auf diese vermeintlichen Allgemeinplätze, diese Fast-Plattitüden einzulassen, bedeutet jedoch Arbeit.
Kacy singt dabei, als wolle sie sich die Gewissheit von allgemeiner Weisheit zurückerobern. "Is It Selfish If We Talk About Me Again?" ist ein Album über das Heilen, darüber, dass es in Ordnung ist, Zeit für Regeneration zu brauchen. Vom Zurückfinden zu sich selbst von einer brandmarkenden Erfahrung. Sie teilt, wie schwer Normalität lasten kann und wie sie sich mit banalen Wahrheiten erst Vertrauen erarbeiten muss.
"Is It Selfish If We Talk About Me Again?" übersetzt das Suchen und Tasten einer sehr verwundbaren Protagonistin musikalisch und verbirgt dabei keine Frustration und Redundanz. Der Umgang mit der Unsicherheit dreht sich im Kreis, die Gedankenspiralen über die Vergangenheit fläzen sich manchmal ins Bodenlose. Katharsis oder einen furiosen Abgesang sucht man ebenso vergebens.
Kacy Hill zeichnet auf ihrem zweiten Album einen musikalisch formlosen, aber eindrucksvollen Istzustand ihrer Selbstheilung. Diese Hinwendung zu sich selbst mag eine Abkehr vom großen Zirkus der Popmusik darstellen. Aber nach einem Jahrzehnt hinter den großen Bühnen macht sie damit einen ersten Schritt, sich in ihrer Musik genuin selbst zu nähern.
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