laut.de-Kritik
Vertonung einer lebensbedrohlichen Phase.
Review von Toni HennigKasper Bjørke musste sich nach einer Krebsdiagnose fünf Jahre lang untersuchen lassen und war so regelmäßig mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert. Dieses emotionale Auf und Ab verarbeitet der 43-jährige Däne auf "The Fifty Eleven Project", für das er sein Soloprojekt zum Kasper Bjørke Quartet erweitert hat. Gleichzeitig fällt die Releasewoche des rund 120 Minuten langen Albums, das als limitierte 3-LP-Box und Download erscheint, auf den zweiten Jahrestag seiner vollständigen Genesung.
Dementsprechend besitzt die Musik eine reinigende Komponente: Allein Dance-Musik braucht der Hörer nicht zu erwarten. Schon "Line Of Life (Prologue)" geleitet mit schweren Streichern, für die der italienische Komponist Davide Rossi zuständig zeichnet, der in der Vergangenheit mit Ennio Morricone und Jon Hopkins zusammenarbeitete, repetitivem Klavier, die Jakob Littauer (Jatoma) im Konzertsaal des Royal Danish Music Conservatoriums komponiert und eingespielt hat, sowie ambienten Soundflächen von Bjørke und Claus Norreen in melancholische Sphären. Letzlich gemahnt die überaus einnehmende Struktur an zeitgenössische klassische Komponisten wie Philip Glass oder Max Richter.
In "Seminom Non Seminom" stehen anschließend zurückgenommene Ambient-Klänge im Vordergrund, die eine vernebelte Grundstimmung erzeugen. Dazu verbreiten verspielte Klavier-Figuren und die mollverhangene Streicher eine resignative Grundstimmung. Etwas Ungewisses vermittelt dagegen die pluckernde Elektronik in "CT". Mehr Lebhaftigkeit kommt mit "50 11" ins Spiel, wenn sich in der Mitte des Tracks die Sequencer in schwindelerregende Höhen schrauben, um sich gegen das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu stemmen.
Die Basis des Werks arrangierten Bjørke und Norreen in seinem Kopenhagener Studio auf analogen Vintage-Synthesizern, Reverbs, Echos und Sequencern. Den Computer nutzten die beiden ausschließlich als Aufnahmegerät. Die Platte strahlt deswegen eine Zeitlosigkeit aus, die man im elektronischen Bereich aktuell nur selten findet.
Besonders sticht "Dur For Vitus" heraus. Ätherische Ambient-Sounds, sphärische Streicher und virtuose Piano-Töne treffen sich zu einem überaus gelungenen Wechselspiel. Obendrein entfaltet die Nummer eine sakrale Anmut, die an Harold Budds Pionierarbeiten wie "Ambient 2: The Plateaux Of Mirrors" (mit Brian Eno) erinnert.
"Paramount" legt mit düsteren Orgel-Tönen und wirbelnden Celli-Sequenzen noch eine Schippe Dramatik drauf. "Os" verströmt demgegenüber mit kreisender Elektronik und verhaltenen Klavier-Tupfern meditative Ruhe. Ausgeliefertsein und Todesfurcht weichen der Phase der Akzeptanz.
So zeugen die tänzelnden Streicher im folgenden "61016", die sparsame Klavier-Klänge akzentuieren, von Zuversicht. "Contemplation", durchzogen von tristen Drones, die sich an Brian Enos "Ambient 4: On Land" orientieren, greift die Nachdenklichkeit der Anfangsphase des Albums noch einmal auf. Am Ende geht es mit sich wiederholenden Elektronik-Sequenzen in "The Antiphon (Epilogue)" in verträumte Vangelis-Gefilde. Der tröstende Schlusspunkt eines Werks, das in vielen Momenten geradezu erdrückend wirkt.
Im Grunde genommen führt das Kasper Bjørke Quartet mit "The Fifty Eleven Project" eindrucksvoll vor Augen, wie sich eine einschneidende, ja bedrohliche Lebensphase tatsächlich anfühlt. Dabei begeht es zum Glück nicht den Fehler, sich mit zu viel avantgardistischer Kunstfertigkeit oder zu viel aufgesetztem Pathos anbiedern zu wollen, wie es bei der Verbindung von Elektronik und Klassik leider oftmals geschieht. Eher setzt es auf minimalistische Mittel, die ähnlich Brian Eno und Max Richter auf Funktionalität zielen.
Darüber hinaus wurden für jeden der elf Tracks Kunstfilme erstellt, die kürzlich im Klub in Kopenhagen erstmals über die Leinwand flimmerten. 2019 kommen die Musiker mit dieser Installation dann wahrscheinlich auf US- und Europa-Tournee.
1 Kommentar
Hört sich an wie meine Badewanne wenn das Wasser abläuft.