laut.de-Kritik
Er will es Anders machen, aber die Originale bleiben besser.
Review von Philipp KauseFragt einfach nicht nach dem Sinn. Das geht jetzt das ganze Jahr lang so: Thomas Anders, prominente Hälfte des ikonischen Duos Modern Talking, singt sämtliche alten Lieder ohne Dieter Bohlen neu. Ja, sämtliche. Damit andere es ihm gleich tun können und Karaoke-Bars gute 'TV-Tracks' haben, wie man das nennt, gibt der Rheinländer jeden Track auch in der Instrumental-Version heraus. Je einen Remix gibt's pro Song obendrein. Jede Kategorie erscheint einzeln auf CD. Und wahrscheinlich kennt jeder von uns die Leute, die das Format CD im Gespräch schlaumeierisch für tot erklären - es kommt aber aufs Genre an. Im Schlager-Pop boomt der Silberling nämlich.
Braucht man wirklich sechs Modern Talking-Alben in je drei Neufassungen und somit insgesamt 18 neue Plastikscheiben von den Harmonie-Bären? Dagegen ließe sich mit wertvollen, teuren, knappen Rohstoffen, fehlenden Logistik-Fachkräften und Klimaschutz beherzt argumentieren. Denn die meisten CD-Konsumierenden werden ja wohl doch vor allem Track Eins, "You're My Heart, You're My Soul", rauf und runter hören und die Instrumentals irgendwelcher Album-Cuts im Regal verstauben lassen. Gerade zu diesem Song gab es übrigens schon immer das Instrumental im Handel. "Sings Modern Talking: The 1st Album" ist ein sinnloses Produkt mit deutlich weniger Nutzwert als Mia Julias Bettwäsche, das zeichnet sich hier schon ab. Nur anders als Mia Julia, verbürgt sich für Thomas Anders Archiv-Aufblähung Edel, ein Classic Rock-Vertrieb mit Indie-Status. Wie kommt man dort nur auf so eine Idee?
Okay, nehmen wir an, Anders will die alten Schnulzen womöglich anders machen. Die Chronisten unter euch werden das zu Recht infrage stellen oder relativieren. Thomas coverte nämlich beispielsweise die beiden Singles aus "The 1st Album", also auch "You Can Win If You Want" längst, "You're My Heart, You're My Soul" sogar mehrmals. Im Zuge des Eurodance verleibten sich sowohl Die Schlümpfe als auch Interactive aufgrund der gemeinsamen Wurzel Italo-Disco das Bohlen-Erbe ein. Aber der dunkelblonde Kumpel ist eben der Urheber. Sämtliche Nummern des "The 1st Album" entwarf und produzierte Bohlen, während umstritten und juristisch nicht beweisbar blieb, wie viele er davon wirklich zuende komponierte und arrangierte. Anders kreativer Anteil daran ist weniger als marginal.
Seinerzeit 1984 in einem Jahr, das überhaupt wahnsinnig viel schlechten Musikgeschmack mit beeindruckender Nachhaltigkeit in den Äther schoss, da war "The 1st Album" nicht nur ein ideenschwacher, sondern auch ein dreist selbstbewusster LP-Titel. Wer hätte absehen können, dass Modern Talking danach noch fünf weitere Longplays machen? Paradoxer Weise zog das deutsche Publikum erst nach Starthilfe Peter Illmanns mit, Thomas dankte es im Nachhinein. In Frankreich verkaufte sich das Duo anfangs erheblich besser. Und da kommt nun der erstaunlichste Fakt mit ins Spiel: Ganz Kontinentaleuropa diesseits des Eisernen Vorhangs kaufte diesen Schnulz. Auf dem wirklichen "The 1st Album" befinden sich übrigens neun Stücke. Wo Anders zwölf her nimmt, ist historisch unklar, die übrigen tauft er kontextfrei 'Bonus Tracks'. Einen Unterschied macht es auch nur quantitativ, die Ausschlag gebenden Vokabeln "you, me, night" werden halt nochmal anders kombiniert, man talkt modern. Die Akkorde fühlen sich auf den Bonus Tracks wie rückwärts abgespielte Klone der regulären Nummern an.
Der große Hit "You're My Heart, You're My Soul" zeichnet sich in der neuen Aufnahme durch ausgeprägte Blutleere im Gesang aus. Die Weichplastik-Beats, wie sie seinerzeit 1984 'State of the art' waren, weichen in den Strophen knalligen EDM-Schlägen. Als dürrer Platzhalter reichen Anders Aushilfs-Vocals allemal. Man merkt eigentlich nichts von ihm, aber auf der Aufnahme steht, das sei er. "You Can Win If You Want" ergänzt mit einer Falsett-Version seiner Stimme oder einer anderen Stimme, so genau weiß man das nicht. Unterm Strich klingt es wie ein Cover von "Stayin' Alive" von den Bee Gees, ein bisschen dröge, vorhersehbar, auf Disco getrimmt.
In "The Night Is Yours The Night Is Mine" mit der Hookline "It's like paradise / See your magic eyes" dürften die Strophen in den Achtzigern für Aerobic zu zurückhaltend gewesen sein. Der Refrain müsste gepasst haben. Smart war und bleibt die Nummer, da kann man zu gleichen Anteilen Soulpop wie Synth-Schlager drüber schreiben. Kaum vorstellbar ist hingegen, dass man noch steriler, risikoärmer, konventioneller, schablonenhafter komponieren, singen, produzieren, abmischen kann als bei "Do You Wanna". Das gnadenlos brave Four-to-the-floor-Gefühlsbekenntnis handelt vom "heartbeat, heartbeat" und von einer "new emotion", vertraut auf Trommelwirbel zum Chorus hin und affige Sechzehntel-Triplets auf der Drum-Machine.
Um die Verliebtheits-Studie "One In A Million" musikalisch nicht mit Michael Cretu zu verwechseln, ist das Beachten der Reime eine echte Hilfestellung. Dabei zeichnet sich ganz klar "The night is yours and mine / You're looking fine" als die flacheste Zeile aus. Es folgt dicht "You caught me with your charms / when you held me in your arms", damals immerhin zwischen den Zeilen ein Bruch mit Heteronormativität. Das war 1985. Damals war der Zeitgeist anders. 2025 fragt man sich hingegen, ob 'charmant' wirklich das Wort dafür ist, jemanden in den Armen zu halten. Es fühlt sich abgestanden an. Aber genau das passiert, wenn man Lieder von früher eins zu eins nachsingt.
Die musikalische Hauptströmung damals durchzieht alle zwölf bzw. 36 Stücke. "Lucky Guy" dümpelt stark in Richtung von Laura Branigan und "Self Control", Mega-Hit von 1982. "Catch Me I'm Falling" war für die australische Gruppe Real Life 1983 ein Hit, dem Thomas Anders Null Komma Null Neues hinzufügt. Ohnehin, es gab viel ähnliches. Dass nun gerade Wham!, Madonna oder die vom König Charles bekennend präferierte Kylie Minogue anspruchsvollere Musik vollbracht hätten, wird man kaum behaupten können. Was Modern Talking ablieferten, entsprach damals dem gängigen Eskapismus und einer Humorlosigkeit, mit der man aus der BRD nur neidisch gen Austria zu Falco, Fendrich und der EAV gucken konnte.
Wenn jemand sich selbst covert, bietet es sich an, die Sound-Ästhetik, das Mastering und andere technische Aspekte des ursprünglichen Werks mit dem neuen zu vergleichen. In allen Punkten gewinnt klar das Original. Gerade die Hits hatten einen richtig guten Sound. Mit 100 Sekunden Instrumental-Intro bereitet das Duo immerhin gleich zu Anfang einen Earcatcher, bei dem man verständlicherweise damals dran blieb und der - solange man den allzu simpel gestrickten Text noch nicht hört - durchaus internationales Pop-Level hielt. Klar, Pop soll einen direkt anspringen und smooth sein, und das traf damals auf den Space-Effekt der Beats zu. Star Trek boomte. In der damals neuen plakativen Synth-Gefälligkeit entsprach so etwas der grassierenden Vorstellung, dass entweder die USA oder die Sowjetunion als erste den Mars bemannen würden. Wer mit solchen Weltraum-alike-Beats ins Album einläutete, konnte damals nur siegen. Das Prinzip der geheimnisumflorten Intros zieht sich dann durch die meisten Tracks im Modern Talking-Original hindurch. Der Falsettgesang erklingt damals öfter, und wenn, dann besser. Rolf Köhler, Birger Corleis, Nino de Angelo, Michael Scholz und Detlef Wiedeke waren diejenigen, die ihn 1984/85 einsangen (von Dieters Lippenbewegungen mal ganz abgesehen).
"Diamond's Never Made A Lady" und "One In A Million" verführen immer noch durch sehr schöne Harmonien, wenngleich da die recht technokratische, seelenlose Machart der Drum Machine-Beats damals wie heute viel Potenzial abzieht und die Magie gleich wieder zerstört(e). Sonst wären wohl noch mehr Single-Hits rund ums Debüt möglich gewesen. Dieses damalige Manko behebt Anders jetzt nun wirklich nicht. Klapprig klingt es wieder, schematisch, maschinell - schade!
Den Neuaufguss gibt es nur im Format Box-Set. Dabei ziehen die neuen Remixes von CD2 auch mehr in die harte 'Wir-Babyboomer-machen-Party,-forever-young'-Richtung, lassen wenig Raum für Zwischentöne. Sie sind formal gut gemacht, durchaus im Ansatz beim ersten Hören eine kreative Überraschung. Hat man aber drei davon vernommen, wiederholt sich die identische Masche absehbar für alle weiteren Stücke. Variieren ist hier nicht die Stärke. Aber eine gewisse Rechtfertigung für diese Remixes ruht in der Beiläufigkeit und Austauschbarkeit von Thomas Anders Gesang. Wenn er schon nichts Individuelles beiträgt. So entlarvt er sich als Blueprint für die beiden späteren Milli Vanilli-Tänzerfiguren, die das Singen erst trainieren mussten. Thomas Anders ist ein Image, ein ikonisches Gesicht der Eighties irgendwo zwischen Kai Pflaume, Ingolf Lück, Mike Krüger und anderen Gesichter-Karrieren, und auch im 63. Lebensjahr nicht mehr als das. Dieser Release geht so richtig nach hinten los.
10 Kommentare mit 6 Antworten
Das stelle ich mir ins Regal zwischen dieses Wu-Tang Clan Album, welches nur einmal gepresst wurde, meine signierte Nas-Kollektion, die Rohpressung von Yesterday und das handgeplöckelte "KOOK Computer" (o.ä.) von diesem triefäugigen Pop-Sänger, Radiohead oder so.
Optisch 5/5
Dieter Bohlen dreht sich im Grab um
Er musste doch schon zu Lebzeiten genug erleiden...! :'(
Bohlen ist schon 71. Dann weiß ich, dass ich alt werde.
Das letzte Dieter Bohlen-Album hatte doch das gleiche Konzept - die eine Hälfte von Modern Talking singt die alten Modern Talking-Hits alleine nach. Damals haben wir festgestellt, dass zumindest Dieter Bohlen nicht der Part von Modern Talking ist, der singen kann.
Äh DB hat nie mitgesungen, deshalb macht das ganze "Konzept" überhaupt keinen Sinn. Aber vielleicht denke ich da schon viel zu weit.
Eine Legende demontiert sich selbst.
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