laut.de-Kritik
Kevins unvollständige musikalische Neuerfindung
Review von Anthony CerezoIm letzten Jahrzehnt erlangte die Hip Hop-Indie-Boyband Brockhampton eine verschworene Anhängerschaft, die ihren Höhepunkt mit der "Saturation"-Trilogie und "Iridescence" erreichte. Jedoch begann die Einheit der Gruppe zu bröckeln, als Ameer Van, eine der prägenden Stimmen, sich aufgrund von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs von der Band trennen musste. Auch ohne Ameer Van setzten Brockhampton ihre Arbeit fort, bewahrten dabei die besondere Kreativität und musikalische Freiheit, doch es fehlte jener Glanz, der die Gruppe zuvor so unantastbar gemacht hatte.
Im Jahr 2022 verkündeten Brockhampton offiziell eine unbestimmte Auszeit, nachdem sie zwei vermutlich finale Alben herausgebracht und ihren letzten gemeinsamen Auftritt bei Coachella zelebriert hatten. Für die Einzelmitglieder bedeutet dies jedoch nicht das Ende ihrer kreativen Reise. Insbesondere Kevin Abstract, als eine der prägenden Persönlichkeiten der Band, manifestierte durch bereits überzeugende Soloprojekte seine Fähigkeiten und legte damit den Grundstein für einen vielversprechenden neuen Weg in seiner eigenen Musikkarriere.
Allerdings berichtet Kevin Abstract, dass er nach der Trennung von Brockhampton in einen Schleier aus Depressionen und Unsicherheit geriet. Diesen Schleier durchdrang er zu Beginn des Jahres 2023, indem er innerhalb von drei Monaten die 13 Songs für sein neues Album "Blanket" aufnahm: Immer noch alternativ und experimentierfreudig, jedoch mit einer klaren Neigung zu Rock und Grunge. "Ich wollte eine Art Sunny Day Real Estate, Nirvana, Modest Mouse Platte machen. Aber ich wollte, dass es knallt wie ein Rap-Album" erklärt er.
Die initialen Singles gaben bereits einen Vorgeschmack auf diese Klangwelt. Der Titelsong "Blanket" prallt mit einem tobenden Instrumental-Chaos auf, begleitet von wechselnden Phasen des Geflüsters und Schreiens. Jedoch bleibt ein signifikanter Beitrag von Kevin aus, und es fühlt sich an, als wäre dies eher eine Art Teaser für den Indie-Rock und Grunge, mit dem sich Kevin Abstract augenscheinlich angefreundet hat. Der erste Track "When The Rope Post 2 Break" knüpft daran an. Kevins nicht sofort erkennbare Stimme flüstert über die Gitarrenklänge und erschafft dabei eine Atmosphäre der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit.: "You rеach out your hand / Why would I climb if the rope's supposed to break?"
Thematisch begibt sich Kevin Abstract weiterhin auf die Suche nach Liebe, Wahrheit und den Tiefen seiner Gefühle. In "Running Out" drückt er sein Kummer auf einer lebhaften, Upbeat-Produktion aus und lässt neben den unruhigen Klängen und Gitarrenriffs auch Raum für aufmunternde Pop-Elemente. Im Dancetrack "The Greys" fühlt er sich missverstanden, ist jedoch gleichzeitig von einer Person angezogen, mit der er sich mehr erhofft hatte. Viele der Songs streben danach, einfühlsam zu wirken, sei es in der klanglich verzerrten Ballade "Voyager" oder dem traurig gestimmten "Today I Gave Up".
Doch oftmals bleibt unklar, welche genaue Botschaft Kevin mit seinen wortkargen Texten vermitteln möchte. Es sind vielmehr einzelne prägnante Sätze und das Tempo der Produktionen die bestimmte Gefühle hervorrufen. Kevin Abstract erzeugt nicht nur durch seine knappe Wortwahl eine gewisse Stumpfheit, sondern auch durch unterschiedliches, inkonstante Verzerren und Pitching seiner Stimme.
Seine Vocals variieren zwischen hohen Tonhöhen, Überlagerungen, Filtereffekten sowie Flüstern und Schreien. In "Real 2 Me" experimentiert Kevin mit schrägen Autotune-Vocals, während er in "Heights, Spiders, And The Dark" die Auswirkungen eines romantischen Scheiterns beschreibt und dabei klingt, als käme seine Stimme aus einer Blechdose. Das Herumspielen mit unterschiedlichen Effekten überschattet Kevins eigentlich hörbare, unverfälschte Stimme, die nur in einigen Tracks wie der sanften Pop-Ballade "My Friend", "Scream" oder den knappen Versen von "Madonna" aus dem Nebel der Effekte auftaucht.
Genau wie der Titelsong "Blanket" den Eindruck eines Teasers vermittelt hat, zieht sich dieses Gefühl der Unvollständigkeit durch das gesamte Album. Trotz ihrer regulären Spieldauer wirken viele Tracks wie Rohfassungen, bei denen bestimmte Elemente fehlen. Kevin Abstract formt die Songs zunächst beeindruckend, verweilt jedoch an gewissen Stellen, ohne den Höhepunkt auszubauen. Es fehlt an Intensivierung, und der Sound wirkt an vielen Stellen beinahe gelangweilt von sich selbst. Das Album widmet sich nur teilweise der experimentellen Vision und lässt sich nicht gänzlich auf das Chaos ein, das es kreieren möchte.
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