laut.de-Kritik
Kunststudenten wollen den Rock retten.
Review von Matthias Manthe"Ein Haufen übergebildeter Gitarrennerds mit noch aufgeblähterem Ego erobert Europa." Netterweise liefern Kimono die gewünschte Artikelüberschrift per Pressetext gleich mit. Ebenso zweideutig der Untertitel: "Wir, die Propheten, haben erkannt, dass Rock seine Bedeutung verloren hat. Wir werden den ausbeuterischen Mainstream unterwandern und der Jugend ihre Stimme wiedergeben." Die Wahrheit steckt wie so oft zwischen den Zeilen.
Richtig ist, dass Kimono ihren Angriff auf die Feuilletons aus einer ziemlich elitären Position heraus starten. Die Isländer teilen das Label mit Björk und Sigur Rós, gehen einem Kunststudium nach und tragen ein sehr progressives Musikverständnis vor sich her. Avantgarde und Popsensibilität finden darin gleichberechtigt nebeneinander Platz. Aus tiefer Verehrung für die deutsche Musikszene der Siebzigerjahre zog eine Bandhälfte eigens nach Berlin. Keine Überraschung also, wenn vor allem der Krautrock tiefe Furchen im Soundbild hinterlässt.
In "Red Army" etwa murmelt Sänger und Gitarrist Alex McNeil psychedelische Formeln in einen schwarz blubbernden Hexenkessel, der den Braumeistern von Can zur Ehre reichen würde. Das wortlose "Onomatopoeia" ist ein weiters Elixier der hypnotischen Sorte. Hier stiehlt das Quartett riesige Brennstäbe aus dem Kraftwerk, um seine Elektro-Experimente mit Energie zu füttern. Bassdrums stampfen, archaische Rechenmaschinen fiepen, Rhodes-Piano und Posaune zaubern verwunschene Melodien auf das glimmende Riffbrett.
Die erste Hälfte der Platte gleicht hingegen mehr einer Feldstudie denn solchen Laborbedingungen: "Sober" schultert die Akustikgitarre und erzählt mit sanfter Stimme von verregneten Landstraßen. Erst kurz vor Ende verdunkeln Gewitterwolken den Himmel. In Sekunden entwickelt sich ein kafkaeskes Bedrohungsszenario, bis der aufgewühlte Ich-Erzähler mit zittriger Stimme in den Seitengraben hechtet. Ein Fest für Freudianer ist auch der alptraumhafte Noiserocker "Children Of God", der den Unterschied zwischen Jäger und Gejagtem vollends aufhebt.
Dieser Songkleinode zum Trotz nimmt "Arctic Death Ship" nicht jeden mit auf die Reise. Zerfahrene Stücke wie das Joy Division-Tribut "Aftermath" und "Hyla Grace" zeigen Kimono zwar als fleißige Artrockschüler, verzichten aber auf wirklich greifbare Momente und verkommen so ein wenig zu fransigen Skizzen. Entdeckern, die nach zu vielen Rundfahrten mit Käpt'n Hook seekrank wurden, erschließt sich hierin jedoch der besondere Reiz des Todesschiffs. Leinen los für eine Expedition ins Ungewisse.
Noch keine Kommentare