laut.de-Kritik

Beharrlicher gegen den Fortschritt als Dieter Nuhr.

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Eigentlich müsste es große Freude bereiten, King Orgasmus One zu sein. Hierzulande existiert wohl kein zweiter Rapper, der ein vergleichbares Maß an Narrenfreiheit genießt. Seine Hardcore- und Porno-Rap-Alben ließen sich immer auch als kleine Comedy-Projekte betrachten. Damit ließ er seinen Hörerinnen und vor allem Hörern immer eine Hintertür offen, um allzu sexistische und bornierte Äußerungen wegzulächeln. Auf "Manifest" fehlt der überlebenswichtige Humor nun völlig. Unterlegt mit Chören gibt das dramatische "Intro" die Richtung vor: Mit dem Tunnelblick unbeirrbar voran.

"Was ist mit Gangster? Du tanzt doch Ballett", grüßt er in "Heckmack" zum entspannt vor sich hin rollenden Beat von Contra Beatz. Regelrecht gelangweilt fällt der Vortrag von King Orgasmus One aus. Selbst durch die Generalabrechnung "Manifest" schleicht er fast schüchtern. Umso hartnäckiger bezeichnet er seine Musik noch immer als "Untergrund-Rap". Als ob Tapes des einstigen Schreckgespenstes noch immer unter der Hand auf dem Schulhof den Besitzer wechselten und nicht auf Spotify in Klickweite von Spongebob Schwammkopf entfernt liegen.

"Manche Rapper machen jetzt auf Überbanger, aber Fakt ist: Alle schwule Sänger", legt "Rap sein Vater" gegenüber seinen Kindern dar. Glücklicherweise rebellieren die lieben Kleinen und verdrehen maximal die Augen, wenn sich der Alte über "Insta-Fotzen" mokiert. King Orgasmus One übersieht völlig, dass längst BHZ, Symba und Pashanim das musikalische Epizentrum bilden, wenn er in "Bogota Flow" insistiert: "Berlin macht wieder Welle". Noch irritierender erscheint es, wenn der Rapper von seiner eigenen Doktrin abrückt, um in "Vulkan" selbst zum karibischen Autotune-Sänger zu mutieren.

"Sag' warum hast du ein' Mann geküsst?", fragt King Orgasmus One naserümpfend. Bis zur selbigen reicht offensichtlich seine Vorstellung von einem "Leben Am Limit". Mit über 40 Jahren gibt er sich derart festgefahren, dass es fast unfreiwillig komisch wirkt. "Deutsche Rapper sind Veganer", gilt in seiner Welt bereits als ehrabschneidende Attacke. Dabei macht es ja durchaus Laune, zuzuhören wie er mit der Motorsäge durch das Instrumental von KD Beatz und Niza marschiert. Statt dem Wahnsinn freien Lauf zu lassen, klammert er sich wie ein Ertrinkender an die tanktopfreie Männlichkeit.

Wenig überraschend drängt sich im Verlauf des Albums der Eindruck auf, dass sich seine engstirnige Haltung aus Frust speist. "Keiner fragt 'Wie geht es dir?', aber wollen Geschäfte machen", zeigt er sich nicht nur im biografischen Abriss "Jean Baptiste" dünnhäutig. In "Blacklist" dringt die Verbitterung aus jeder Zeile: "Jetzt weiß ich, woran ich bin. Freundschaft ade, aus den Augen, aus dem Sinn.". Enttäuscht von alten Weggefährten und Medien findet er eigentümliche Ausreden: "Jetzt tut ihr so, als wenn ihr mich nicht kennt? Ihr habt Angst, weil ich immer noch der Realste bin".

"Ich war immer dieser Träumer, hatte Angst mich zu verlieben", wäscht sich der Rapper wie es die Tradition verlangt kurz vor Toreschluss rein: "Du warst mein Engel und ich wollte mit dir fliegen". Eingeklemmt zwischen den rohen "Nightmare" und "Bomberjacken Trend", die den Verfall der Kultur auf Prinz Pi, Mero und Apache 207 schieben, setzt sich Freshmaker für "Labyrinth" ans Piano, um die Liebeslyrik im Kitsch zu ertränken. Dazu gesellt sich J.A.N.A., die als sentimentale Hook-Lieferantin dieselbe Funktion übernimmt wie Alexa Feser oder Alies auf Kool Savas' "Aghori".

Zugegeben, ein Album von King Orgasmus One ist kein Grünen-Parteitag. Wie humorlos und dogmatisch "Manifest" letztlich ausfällt, überrascht dann aber doch. Auch wenn "Deutschlands Rattenfänger" von Gendern und Inklusion nur entfernt gehört haben mag, darf er sich minimal dem Jahr 2021 annähern. Bass Sultan Hengzt ist dieser behutsame Übergang ins neue Jahrtausend mit "Macho" doch ebenfalls gelungen. Stattdessen stemmt sich der Chef von I Luv Money Records beharrlicher gegen jeden gesellschaftlichen Fortschritt als Dieter Nuhr.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Heckmack
  3. 3. Manifest
  4. 4. Bogota Flow (mit Mehmet Meth)
  5. 5. Jean Baptiste
  6. 6. Blacklist
  7. 7. Leben Am Limit
  8. 8. Vulkan
  9. 9. Fuq With Me
  10. 10. Nightmare
  11. 11. Labyrinth (mit J.A.N.A.)
  12. 12. Bomberjacken Trend
  13. 13. Outro

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