laut.de-Kritik
Ein Magnus Opus des atheistischen Existenzialismus.
Review von Matthias MantheGott, Engelwesen und Madonnen, Paradies und Wiedergeburt? Die lyrischen Wegmarken auf "Vom Feuer Der Gaben" schüren den Verdacht, Delbo-Gitarrist Tobias Siebert hätte den religiösen Backlash als Leitdevise ausgerufen. Tatsächlich zeugen die Texte von einer existenzialistischen Beschäftigung mit den Themen Tod und Verlust. Sie dienen jedoch lediglich als Allegorien: zur Greifbarmachung des Unbegreiflichen.
Die unverklausulierten Distinktionsgesten gegen die Kulturindustrie des Vorgängers "Flimmern" ("Standard", "Center") sind komplett verschwunden. Stattdessen transzendiert sich die salzige Wut auf die Korruption der Wertvorstellungen in einer depressiven Bitterkeit.
Siebert resigniert allerdings nicht. Nach der Kapitulation [sic!] in "Im Raum Mit Toten" stolpert der Protagonist in der persönlichen Stunde Null "benommen den Gang raus" nach draußen, wo "viele andere, die sich wehren" warten.
Noch stärker als auf dem Vorgänger vollführt er in gewohnt gewöhnungsbedürftiger Stimmlage die Kunst des elliptischen Auffüllens. Wenn der Bandkopf an den/die Fehlende(n) gerichtet singt "Du zwängst mich fest in Erinnerung / Und verwandelst was von dir übrig ist", überlässt er dem Hörer selbst die Entscheidung, die Leerstellen mit Substanz anzufüllen. Wir können ganz nah dran sein – wenn wir wollen.
Passend zum konfessionellen Charakter der Textfragmente verziert der Cantus-Domus-Chor eine Vielzahl der Stücke. Auch sonst klingen die Berliner jetzt deutlich fülliger. In anderthalb Jahren Akribie haben sie an einem multilateralen Klangbild gearbeitet, das in der Horizontalen vom Harmonium bis zum Streich- und Blasensemble reicht, vertikal von brutalen Bässen hoch zu Sieberts Gesang.
Man darf zu Polarkreis 18 eine Analogie ziehen insoweit, als dass auch die Dresdener hymnischer und orchestraler geworden sind. Geschickt gesetzte Dissonanzen und allen voran das finstere "Am Grund Der Tiefgrünen See" verhindern aber eine vergleichbare Pop-Zugänglichkeit. Klez.e bleiben das emotionale Pendant zu den intellektuellen Betrachtungen von Delbo – und die hierzulande einzige relevante Größe in Dingen atheistischer Existenzialismus.
26 Kommentare
es wird vermutlich niemanden interessieren (:() aber klez.e bringen ein neues album heraus:
Klez.e
titel: Vom Feuer der Gaben
label: Loob Musik / Universal
v.ö.: 30.01.2009
format: CD
Man erkennt früh, dass die Dinge diesmal etwas anders laufen.
"Wir ziehen die Zeit", der Opener des dritten Klez.e-Albums "Vom Feuer der Gaben", besitzt einen Beat, dessen Prägnanz neu ist, eine Melodie, die zwingend erscheint und bei aller Komplexität im Arrangement fast so etwas wie Leichtigkeit in sich trägt. Gleichzeitig führt der Song grandios in die Irre, denn schon das folgende Stück "Der Saal", verbindet jene Stringenz mit einer Feierlichkeit, die aus dem Gospel zu stammen scheint und auch im Text ange- rissen wird: "Kein Gott, kein Krieg, kein Held, kein Leid" heißt es hier, bevor die Gruppe aus Berlin musikalische Flächen generiert, die man so in der deutschen Popmusik nicht erwartet.
Wer da unbedingt Vergleichsparameter finden möchte, wird diese wenn nur im Ausland finden, wird an Thom Yorke und seinen Radiohead vermutlich nicht vorbeikommen, vielleicht auch, weil sich auch im weiteren Verlauf des Albums Paralellen auftun. Weniger in der Musik an sich, als in der Bereitschaft, Konventionen aufzubrechen, es jenseits üblicher Strukturen zu versuchen.
Nun fanden Klez.e schon immer in einem Spektrum statt, das mit dem Gros deutscher Rock- und Popkapellen wenig zu tun hatte. Auch das vor drei Jahren erschienene "Flimmern" war eine vielschichtige Platte mit Widerhaken, mit Sprüngen, die man aber noch ohne größere Probleme unter dem Alles-Begriff "Indie" einordnen konnte. "Vom Feuer der Gaben" geht in vielerlei Hinsicht mehr als ein Stück weiter. Hört man die fast märchenhaften Vokalarrangements in "Madonna", die schleppende Orgel in "Im Raum mit Toten" oder die Postrock-Gitarren in "In Gold", so funktioniert diese Verortung überhaupt nicht mehr - weil die ohnehin so überflüssige Grenze zwischen E- und U-Musik aufgebrochen wird und auch die Melodienvielfalt von Elektro, Jazz und moderne Klassik eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Aber, und manche werden das als Entwarnung begreifen, einiges ist auch geblieben. Etwa der hohe Wiedererkennungswert von Sänger und Kopf der Band Tobias Siebert, dessen Bildsprache nach wie vor zwischen durchaus konkreter Aussage und nur schwer dechiffrier- barer Vielschichtigkeit wechselt, dabei aber immer eigenartig lautmalerisch bleibt.
Und dann ist da eben noch die Sache mit den Bildern. Klez.e fragten einmal nach. Bei denen, die da Bescheid wissen, die so etwas können. Dafür gaben sie Künstlern je ein Lied in die Hand. Und so entstand, angelehnt an die Idee einer Dual Session, eine Sammlung zwölf verschiedener Werke, die auf ganz verschiedene Art und Weise mit den jeweils zugeordneten Musikstücken kommunizieren + interagieren, beginnen eine gemeinsame Geschichte zu erzählen. Die Bandbreite der Bilder entspricht dabei der der Musik: René Arbeithuber, den die meisten von seiner Arbeit mit der Popformation Slut kennen werden, nimmt eine sehr direkte Übersetzung von "Wir ziehen die Zeit" vor. Jan Kruse von der traditionell geschmackssicheren Designschmiede Human Empire illustriert "Madonna" einfach, aber drastisch. Und Andy Potts nimmt die Klangexplosion, die die zweite Hälfte des Titeltracks so sehr prägt, als zentrales Element in sein verstörend-schönes Bild auf.
Klez.e haben sich die Zeit gelassen. Eineinhalb Jahre, um genau zu sein. Zunächst arbeitete die Band ergebnisoffen, versuchte Dinge, machte ausgedehnte Rotwein-Pausen im "blauen Kabinett", einem Raum, den man auf "Vom Feuer der Gaben" durchaus hören kann. Den Herbst 2007 und den darauf folgenden Winter verbrachte sie komplett im Studio - sogar am Silvestertag wurde aufgenommen. Und bis "Vom Feuer der Gaben" dann tatsächlich fertig klang, fertig war, dauerte es noch einmal ein halbes Jahr. Jetzt, mit ein bisschen Abstand, kann man es schon sagen: Ganz offenbar hat sich jeder Tag davon gelohnt.
ich bin gespannt!
@scumsurfer (« es wird vermutlich niemanden interessieren (:() aber klez.e bringen ein neues album heraus »):
freu mich.
das debut von denen war ja sehr gut.
Na das ist doch mal was. "Leben daneben" war sehr gut, "Flimmern" mit Abstrichen ebenso. Freu' mich drauf.
@scumsurfer (« geh du mal lieber deine augäpfel aus dem schädel löffeln. »):
der war selbst für dich zu arm.
@faster23 (« dafür, dass du so hart drauf bist, hörst du ganz schön niedliche musik. »):