laut.de-Kritik

Kolja wechselt seine Position auf der Landkarte schneller als James Bond.

Review von

Im deutschen Straßenrap nimmt Kolja Goldstein die Rolle einer Blackbox ein. Unter großem Beifall stellte ihn Groove Attack letzten November als "Ausnahmekünstler" vor. Mit "Art & Design" werde er "Deutschrap neu definieren". Doch bevor es dazu kommen konnte, hatte das Label die Kooperation bereits aus ungenannten Gründen beendet. Auf Reddit kursierte die Behauptung, die EP sei kurzzeitig zu hören gewesen, doch die wenigen musikalischen Zeugnisse verschwanden von Spotify. Ein halbes Jahr später folgt die Wende: Ohne viel Aufhebens erscheint das Debüt des Rappers im Selbstvertrieb.

"Erst werden wir groß von der Erde zu den Sternen zum Mond. Ich hab' ein Imperium mit Koks, doch seh' mein Erbe bedroht und dann sterben wir so." In "Terzo Mondo" steigt er gewaltig ein, auch wenn ihm ein geschmeidiger sprachlicher Bogen misslingt. Dennoch lässt sich festhalten, dass Kolja Goldstein einen vorzeigbaren Wortschatz mitbringt. Während Data Luv auf "Stars" oder Ngee auf "Normalität" die deutsche Sprache so gerade eben beherrschen, gelingt es ihm als wohl ersten Rapper seit Kollegah, Begriffe wie "Boden-Luft-Raketen" störungsfrei in einen Text einzubauen.

Doch worum geht es auf "Art & Design"? Oberflächlich betrachtet behandelt Kolja Goldstein ganz traditionell den Lebensstil eines Kriminellen. "Ich flieg' morgens nach Marrakesch, komm' abends mit dem Speedboat zurück", beschreibt er in "West" seinen Tagesplan. Auf der Landkarte wechselt der Rapper schneller seine Position als James Bond: "Bogotá, Córdoba, nautische Meilen." Über die gesamte EP bestimmt er ununterbrochen seinen Standort. Länder, Städte und Straßen wechseln sich mit Parks, Häfen, Flughäfen, Ämtern, Museen oder Hotels ab.

Während sein Vortrag recht glanzlos ausfällt, halten die geografischen Angaben, die Arbeit der "Inlandsgeheimdienste" und die Entwicklung der "Kaufkraft" die Hörerschaft bei Laune. Seine mysteriöse Aura verstärkt er zudem dadurch, vage Andeutungen mit konkreten Daten zu verknüpfen. "Mach' seit 2010 mit dem Zollamt Geschäfte. Stell' dich einmal in den Weg und dann rollen die Köpfe", bekräftigt er etwa in "Terminal". Damit verleiht er seinen Geschichten aus dem Halbschatten den Anschein von Authentizität.

Nur vereinzelt verliert er seine abgründige Ausstrahlung. Der veyseleske Gesang und das dazu gut gelaunt trötende Instrumental von "Ambassador" schießt etwa quer. Auch das High Life von "CRMNL" mit gelegentlichem Autotune-Einsatz lässt sich nur schwer mit den schmutzigen Nächten an den niederländischen Häfen in Einklang bringen. "BLMNBQT" klingt hingegen so, als foltere Kolja Goldstein neben Verrätern auch jede Menge Katzen. Und dennoch fällt die Produktion von Gee Futuristic und Leon Tiepold positiv aus dem auditiven Einheitsbrei D-Rap raus.

Es wäre deutlich zu hoch gegriffen, "Art & Design" als Neuerfindung des Genres zu bezeichnen, nur weil der gebürtige Malteser im Vergleich mit den meisten Kollegen authentischer und intelligenter wirkt. Dafür fallen schon Stimme und Vortrag viel zu durchschnittlich aus. Und dennoch fügt Kolja Goldstein dem Streetrap selten gehörte Details hinzu. Hinter seinem nebulös gezeichneten Charakter könnte sich ebenso viel wie gar nichts verbergen. Sein erstes reguläres Album wird zeigen müssen, ob er die Blackbox für alle Interessenten öffnet.

Trackliste

  1. 1. Terzo Mondo
  2. 2. BLMNBQT
  3. 3. Terminal
  4. 4. Diamond District
  5. 5. Ambassador
  6. 6. West
  7. 7. SW Utrecht
  8. 8. CRMNL

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Kolja Goldstein

"Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, 's-Hertogenbosch, wir holen es raus, Bruder, bergen den Stoff. Wir sind taub, Bruder, wer, wenn nicht Gott." Die Nachfrage …

2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    "Erst werden wir groß von der Erde zu den Sternen zum Mond. Ich hab' ein Imperium mit Koks, doch seh' mein Erbe bedroht und dann sterben wir so." Da hat aber auch keiner mehr drübergelesen, oder?

    Daß er ein paar wirklich einfache Wörter kennt, die man relativ zeitnah zur 5. Schulklasse nornalerweise beherrscht, ist wohl tatsächlich schon ein Kritikerlob wert für einen Deutschrapper. Kein Wunder, wenn sich hierzulande kaum noch jemand Mühe gibt.

  • Vor 3 Jahren

    Ich finde gerade den Vortrag überdurchschnittlich fresh! Der Kollegah Vergleich geht mir nicht weit genug, weil Koljah nicht nur tolle Reimwörter kennt, sondern auch ziemlich gut mit Binnenreimen und variablen Pattern arbeitet. Da ist Kollegah viel monotoner Unterwegs.

    Die Beats sind guter Durchschnitt. Insgesamt ist das sicher nicht die Neuerfindung der Räuberpistole, aber schon das erste Mal seit längerem, dass ich einen detschen Gangsterrapper nicht nach einem Track skippen wollte. 3/5 passt also ganz gut, wenn er mit dem anbiedernden Gesinge aufhört, ist da Potenzial für mehr da.