laut.de-Kritik
Wo war jetzt dieses rettende Ufer?
Review von Franz MauererKreisky, die gemeinste deutschsprachige Band, ist zurück. Sägende Gitarren, unerbittliche Rhythmussektion, ein bös keifender Sänger, das sind die Zutaten für eine der feinsten Melangen, die die Popgroßmacht Österreich jemals hervorbrachte. Songs wie "Glitzer" vom Zweitwerk "Meine Schuld, Meine Schuld, Meine Große Schuld", sind in ihrer eindrücklichen Menschenfeindlichkeit fast so schwer zu ertragen wie das ultra-hässliche Cover von "Atlantis", dem neuen Album der Wiener.
Herrlich vager, interpretationsbedürftiger Titel: "Atlantis", der Sehnsuchtsort von Scharen empfindsamer Intellektueller. Thomas Mann hielt die untergegangene Stadt für den Ursprung der Zivilisation, E.T.A. Hoffmann sah darin ein Symbol eines fortschrittlichen Lebens im Einklang mit der Natur. Und untergegangen ist es halt auch noch, wenn es jemals da war.
Kreisky bleiben sich also im apathisch-mysteriösen Grundton durchaus treu, dementsprechend besteht der Titeltrack, zugleich Opener, aus einer eher resignativen als anklagenden Aufzählung von Müll. "Kilometerweit Weizen" ist der Song, in dem Sänger Franz Adrian Wenzl, der Österreicher mit den zweitweitest geöffneten Hemden, angesichts einer Beziehungskrise im Urlaub den Verstand verliert. Die Anklage an die dummen Mädchen ist mit "Lonely Planet" vertreten, und der nervige Nervige-Nachbarn-Song heißt hier "ADHS".
Wann war die Simpsons-Folge mit Bart und dem Ritalin? Der Gag ist genauso abgeschmackt wie sich über die eskapistische, natürlich völlig aussichtslose Reiselust junger Mädchen zu belustigen, auch wenn die Sprache Wenzls nach wie vor oberstes Regal ist. Gottlob verharren Kreisky aber thematisch nicht komplett im eigenen Sud und entfalten auf "Abfahrt Slalom Super-G" eine so noch nicht konsequent ausgelebte Seltsamkeit: "Marcel Hirscher / Ich übergieße dich mit Milch / Damit du weich bleibst / Weiß und weich". Davon gibt es aber viel zu wenig. Kreisky waren textlich immer dann herausragend, wenn die fadenscheinige Hülle der Realität zerriss und Wenzl vornüber in die versteckte Dimension des Irrsinns sprang, aber die Arbeiterameisenhymne "Fall Fürs Jugendamt", das soziopathische "Meine Zunge Ist Leer" und der Selbstermächtigungspop von "Wenn Einer Sagt" haben keine zweite Ebene, sondern sind 'nur' gut bis sehr gut getextete Lieder.
Deutlich interessanter ist das Soundbild, das schon im ersten Song die Reise vorzeichnet: Martin Max Offenhubers Gitarre reißt einem nicht mehr standardmäßig die Gedärme auf, der neue Bassist Lelo Brossmann beherrscht sein Metier und interpretiert es freier als sein Vorgänger und jetziger Co-Produzent Gregor Tischberger. "Atlantis" ist gut geschrieben, dynamisch, gar mitreißend mit seinem saugenden Bass und endet in gefälligem ET-Gedächtnis-Theremin. Überhaupt gehen Kreisky instrumental neue Wege: Die von der Band schon bekannte Orgel übernimmt im tollen "Wenn Einer Sagt" die Hauptrolle, die Gitarre flirrt drumherum.
Der erlösende Ausbruch zum Schluss birgt fast schon einen "Heavenly Arms"-Moment. Kreiskys neue Variabilität spielen sie gekonnt in Breite und Länge aus. Das sind nicht nur altbekannte Kreisky-Songs mit neuem Clou, sondern Elektronik und die Kreisky immer noch eigene Dynamik entfalten fast durchgehend eine bemerkenswerte Einheit. Auf "Kilometerweit Weizen" gibt sich die Gitarre als, ich kann es nicht anders beschreiben, vergewaltigte Tuba und gekonnt die lakonische Stimmung des Songs vor. Den sphärischen Krautrock von "Lonely Planet" garnieren gepitchte 80er-Synths, die sich auf einer Wendeltreppe hoch in den Himmel ein Wettrennen mit Offenhubers Gitarre liefern.
"Abfahrt Slalom Super-G" ist ein 1A-Austroposong, wie ihn Der Nino Aus Wien nur nicht spielt, weil er so viel Publikum nicht mag, und überzeugt mit giftigem Tiefenbass zu Beginn, aus dem Kreisky erst eine entspannte Nummer schälen, um dann gekonnt in repetitiven Slalom zu verfallen. Auf dem laut zu hörenden Albumhighlight "Meine Zunge Ist Leer" nutzen die vier dann eine sich starr in die höhe schraubende Frequenz, um ihren Krautrock gleich mal auf 180 zu starten.
Musikalisch fällt eigentlich nur der Rohrkrepierer "ADHS" ab, dessen Stampfbeat wohl ironisch gemeint sein soll, sich aber letztlich halt wie ein Rock-Club-Mix von Gabalier, mithin also beschissen, anhört. Die starke und fast durchgehend schon souveräne musikalische Weiterentwicklung sorgt dafür, dass die Wiener Band auf "Atlantis" den Kopf oben behält, ihr gewaltiges Potenzial haben sie aber nicht ausgeschöpft. Außerdem sind acht Songs mal ganz knapp vor der EP, Freunde!
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