laut.de-Kritik
Rap für Softies, Rap mit Herz.
Review von Holger Grevenbrock"Ich mach' Rap wieder weich, ich mach' Rap wieder traurig", verspricht Felix Brummer aka Kummer und lässt in der Folge keine Zweifel daran aufkommen, dass vor allem persönliche Erfahrungen den Antrieb für "KIOX" liefern. Kultische Verehrer des Bosses und seiner Transformation sind hier so fehl am Platz wie überhaupt breitschultrige Testosteron-Junkies, die eine Obsession für das Maskuline hegen. Das Debüt des Kraftklub-Fronters ist prall gefüllt mit hervorragenden weichen Beats und Bildern, Selbstzweifeln und Misanthropie. "Befindlichkeitsscheiße", die die Pose und die Oberfläche verabscheut, und gleichzeitig daran scheitert, eine positive Perspektive abzubilden.
Das mag vor allem an den jüngeren Vorkommnissen liegen, die Kummers Heimatstadt Chemnitz auf den Radar der Medien brachten und zum Sorgenkind des Ostens werden ließen. In seiner Rolle als local ist Felix Brummer neben Tretti wohl gerade so etwas wie der Erklärbar im deutschen Popzirkus, dem die Aufgabe zufällt, eine auf Differenzierungen bedachte Meinung in den Diskurs zu werfen. Dass sich dabei aber auch Wut und das Gefühl von Hilflosigkeit breit machen, zeigen Songs wie "9010" oder "Schiff".
"Schiff" sei als Metapher für Chemnitz gedacht, so Kummer. Logisch aber auch, dass der Titel in unserer Gegenwart als Buzzword fungiert, um die Zustände auf dem Mittelmeer zu thematisieren. Der Song spielt mit einer Weltuntergangsstimmung, die dennoch zum Verweilen und Schwelgen einlädt. Gleichzeitig identifiziert Kummer aber auch das Ausharren und Abwarten als Teil des Problems: "Rostbraune Flecken an den Wänden unter Deck, und wenn man das jahrzehntelang so lässt, dann geht das später nicht mehr von alleine weg, irgendwann wird ein Loch zu einem Leck."
In "9010" schildert er den Lebenslauf eines gleichaltrigen Chemnitzers, der knietief im braunen Sumpf dem Alkohol und der Gewalt so sehr verfällt, das selbst die gleichgesinnten "Brüder" sich von ihm abwenden. Anhand dieses Schicksals reflektiert Kummer auch das eigene Aufwachsen als linker Skater im Kapuzenpulli, der schnell zu Fuß zu sein hatte, wenn er nicht mit blutiger Lippe zu Hause auftauchen wollte. Die Kids-Chants verleihen dem Song zusätzliche Dringlichkeit und entwickeln einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann.
Überhaupt ergänzen sich Kummer und sein Produzent Blvth prächtig. Ohne dass das Producing zu sehr in den Vordergrund drängt, bleibt es doch immer präsent und entwirft Soundscapes, in die sich die Lyrics von Kummer schmiegen und hineinlegen. Wie im Fall von "Bei Dir": Gerade zu Beginn schwirren assoziative Links zu Refns "Drive"-Soundtrack auf, Ryan Gosling fahrend in der Tube, die eine Hand am Lenkrad, die andere den Schaltknüppel umklammernd. So wie Colleges "A Real Hero" lösen auch hier die Synths ein warmes Gefühl aus, das sich im nächsten Moment schon wieder zu verflüchtigen droht. Der Kontrast aus eher kühlen Industrial- und Trapsounds und warmen Synthies vermittelt den Eindruck prekärer Behaglichkeit.
Neben Blvth war es wohl die beste Entscheidung von Kummer, Max Raabe als Überraschungsgast mit ins Boot zu holen. In "Der Rest Meines Lebens" geht es ums Älterwerden und die Furcht vor der eigenen Biederkeit mit Spieleabenden, Eigenheim und Riesterrente. Der selbstironische Beitrag von Raabe sorgt nicht nur für willkommene Abwechslung, sondern setzt den dauerhaft präsenten Selbstzweifeln Kummers eine trotzige Altklugheit entgegen, die viel Charme versprüht: "Irgendwann ist es zu spät, um zu früh draufzugehen. Irgendwann bin ich zu alt, zu alt, um jung zu sterben. Aber ich habs versucht, wirklich versucht."
Gerade mit Blick auf die erste Albumhälfte wird deutlich, dass Felix Brummer in seiner Persona Kummer ein sehr persönliches Anliegen verfolgt. Schon die originelle Veröffentlichungspolitik verweist auf eine Engführung der eigenen Biographie mit "KIOX". Das Album soll nur über den früheren, ausschließlich für diesen Anlass neu instand gesetzten Plattenladen des Vaters zu erwerben sein. Die zweite Hälfte dagegen sucht verstärkt die Nähe zum Kraftklub-Sound, hinfort mit der "Befindlichkeitsscheiße".
"Wie Viel Ist Dein Outfit Wert" ist klassische, auf Trap-Sounds gebettete Konsumkritik. Sorgenfreie Wohlstandskids, deren Solidarität mit anderen bei der falschen Wahl der Klamottenmarke endet, funktionieren als willkommenes Feindbild. "Life ist super nice, da wo man die Schuhe trägt. Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht." In seiner Einfachheit verfehlt der Track dennoch nicht seine Wirkung: Catchy Oneliner gehen in die Birne.
In die gleiche Kerbe schlägt "Aber Nein" mit LGoony und Keke, nur eben nicht so on point. Wo gerade noch Kollegah und Komparsen das Böse im System des Rap waren (völlig zu Recht im Übrigen), sind es nun all jene Twitter- und Instagram-Hype-Phänomene, deren zusammengekaufter Fame auch nicht nicht ausreicht, um die Massen zu bewegen.
Kummer präsentiert sich als trotziger Chemnitzer, der zu seiner Heimatstadt eine Art Hassliebe unterhält. "KIOX" ist sozusagen das Kind dieser schwierigen Beziehung. Ein paar Hördurchgänge später lässt sich sagen: Die Mühsal hat sich gelohnt. Der alte Kiosk des Vaters, früher eine Oase der Gegenkultur, ist zumindest wieder für ein Wochenende lang die Anlaufstelle Nummer eins für Leute, die mit Chemnitz mehr verbinden als AfD und rechte Strukturen. Die lange Schlange kurz vor Ladenöffnung setzt ein erfreuliches Zeichen dafür. Auch fernab von Politik bietet "KIOX" so ziemlich alles, das ein gutes Rap-Album dieser Tage braucht, und nichts, das es nicht braucht: Geld, Titten, Ärsche, Autos, Illuminati.
12 Kommentare mit einer Antwort
als musiker kann der shcon was, keine frage. aber... sorry. warum muss es entweder der kolle mit seinem gebrauchtwagenhändlerscham sein oder aber kummer mit diesem mix aus emo, sozialarbeiter und - sorry für dieses ausgenudelte wort - offensiv zur schau getragene alman weicheier prinz pi vibe? generation selbstoptimierer, jaja, klar, deshalb hängen hier auch überall 35jährige in BA seminaren rum, und sowieso alles so schlimm. omg. ich geh ufo hören.
1/5
ich hege keine persönliche antipathie gegen den nutzer aber "Life ist super nice, da wo man die Schuhe trägt. Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht." ist ungefähr sancho-level. glückwunsch felix k.
alligatoah hat das wesentlich besser delivered:
Manche tragen nur dieselben Schrottfetzen
Ich trag' jeden Tag was anderes - Stoffwechsel
Frag nicht, wie alt die sind, die meine Kleider näh'n
Auf einer Skala von eins bis zehn
Tja, denn Kleider machen Leute, doch die Leute, die die Kleider machen
Leisten sich bis heute leider weniger Designerjacken
1Live Musik. Kann man schon machen. Klingt jetzt auch nicht schlechter als das, was an "seriösem Deutschrap" im Radio läuft.
Mark Forster in mehr links.
Nö.
Hmmm..... Da kann einer was. Aber das Ding gibt's nur im Stream. Ich bin da Oldschool, Vinyl und CD sollten schon sein. Somit fliegt das Ding aus meinem Universum.