laut.de-Kritik
Steck' deinen Kopf in diesen akustischen Ameisenhaufen!
Review von Daniel StraubEin einziges Album reichte Gez Varley und Mark Bell aus, um der Musikwelt ihren Stempel, unvergänglich wie ein Brandeisen, aufzudrücken. "Frequencies" lautete der Titel jener Platte, die 1991 ein neues Zeitalter der Musik mit markerschütternden Bässen für jeden deutlich fühlbar einläutete. 2003 erscheinen LFO, inzwischen zum Soloprojekt von Mark Bell geschrumpft, mit "Sheath" unerwartet wieder auf der Bildfläche. Elf Tracks lang inszeniert Bell seine Vision elektronischer Musik als ein einziges organisches Rauschen bei der synthetischen Klangerzeugung.
Nicht den glatt polierten Klängen, die Mark Bells Produktionen für Björk und Depeche Mode auszeichnen, hängt der Sheffielder Technopionier auf "Sheath" nach. Statt dessen holt er elf messerscharf psychedelische Tracks aus der Scheide, die einen so rohen und unfertigen Eindruck erwecken, wie ein schnell auf Leinwand gebrachtes Bild, bei dem die Farbe noch nicht ganz trocken ist. "Sheath" funktioniert wie eine Ansammlung von Skizzen, trägt die Handschrift des schnell arbeitenden Genies, der nur wenige Regler zu verdrehen braucht, um seinen originären Sound zu finden. Dabei betritt auch ein Mark Bell nicht immer Neuland. Dafür wirken die beiden Vorgängeralben "Frequencies" und "Advance" einfach zu stark nach.
Trotzdem bewahren sich Tracks wie "Mum-Man" und "Snot", deren krude Industrial-Grooves die Tradition von "Tied Up" unverkennbar fortschreiben, ihre attraktive Frische. Hier kommt der Nerd Mark Bell ins Spiel, der sich für "Sheath" vorgenommen hat, "die Synthesizer singen zu lassen". Und wie einen guten Sänger, der dann am besten ist, wenn er vom Produzenten genügend Raum zu eigenen kreativen Entfaltung bekommt, gesteht Bell seinen Gerätschaften ebenfalls ihr Eigenleben zu, macht sie zu Mitstreitern in seinem Projekt. So bringt der erste Hi-Hat-Einsatz im Opener "Blown" ein fülliges Rauschen mit sich, wie es aus modernen Technoproduktionen dank allerlei Filter längst verschwunden ist.
In das organische Knistern von "Sheath" einzutauchen wie in einen akustischen Ameisenhaufen, ist eine wahre Freude. Überall krabbelt und kribbelt, fiept und zirpt es, kriechen die Sounds den Gehörgang hinauf mitten durchs Gehirn und auf der anderen Seite wieder raus: "This is going to make you freak, this is going to make you freak", lautet die Message der ersten Singleauskopplung von "Sheath". Ja, absolut, Herr Bell, dem bleibt nichts hinzuzufügen.
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