laut.de-Kritik

Dunkle Magie & Discofunk.

Review von

Bin ich der Einzige, der sich ein bisschen verarscht fühlt? Lady Gaga kehrt zurück zu ihren Wurzeln, hieß es. Die hatte ich deutlich weniger funky in Erinnerung. Und warum veröffentlicht Gaga die einzigen zwei Songs des Albums vorab als Single, die nach dem düsteren Elektropop klingen, mit dem sie damals aus dem Nichts die Popwelt überrollt hat? Ich bin der Letzte, der etwas gegen groovy, funky Popmusik hat. Ich mag aber auch Oliven und spuck sie trotzdem aus, wenn ich in der Erwartung reinbeiße, es sei ein Schoko-Bon. So in etwa lief meine erste Listening Session mit "Mayhem" ab.

Wobei, das ist so nicht ganz richtig, denn los geht es mit eben genannten Singleauskopplungen. Die Olive ist mit Schoko überzogen und die schmeckt. "Disease" ist ein Vorzeige-Gaga-Song. Ein dicker 4-to-the-Floor Kick gibt den Rhythmus an, der Synth röhrt im Takt dazu. Gaga singt spannungsgeladene Strophen, der Chorus ist eine energetische Explosion.

Weiter geht es mit "Abracadabra". Vergesst alles was ich gerade über "Disease" gesagt hab oder multipliziert es x5. DAS ist ein Vorzeige-Gaga-Song. Der Refrain ist ein düsterer Zauberspruch, den Lady Gaga über die gesamte Welt verhängt, die ist gezwungen, zuzuhören. Einen "Abracadabra, morta-ooh-ga-ga Abracadabra, abra-ooh-na-na"-Gibberish zu einer Hookline zu machen, die nicht unglaublich lächerlich wirkt, ist eine Kunst für sich. Dem unironisch das Gefühl von dunkler Magie zu verleihen und dabei einen Riesenhit zu produzieren, eine Meisterleistung. Das Instrumental steckt für seine Mainstreamtauglichkeit überraschend voll mit Rave-Elementen. Der treibende Acidbass und die schnellen Hi-Hats werden erst von Gagas Gesang zu Pop transformiert. Die Entscheidung, den Song zur größten Singleauskopplung mit Video zu machen, beweist ihr anhaltendes Gespür für Megahits, ihre Videoperformance, dass sie doch etwas über Kameras weiß.

Die nächsten drei Titel bleiben in der "Old-Gaga"-Schiene, die Stimmung hellt sich dabei Track für Track auf. Fans kommen trotzdem auf ihre Kosten, etwa bei dem von Gesaffelstein produzierten "Killah". Grundgerüst ist der typische, dystopische, marschierende Gesaffelstein-Lead/Bass, ausnahmsweise in Dur. Nur tut der Rest des Songs, als wäre der Lead nie gewesen. Gagas Vocals erinnern an Bands wie Roxette, eine funky Gitarre bietet weiteren Kontrast. Der Song ist vereinnahmend, im Hintergrund nervt er, dafür passiert zu viel und passt zu wenig. Wer dem Track seine ganze Aufmerksamkeit widmet, bekommt aber eine interessante Fusion, die es so noch nicht gegeben hat, der man durchaus einiges abgewinnen kann.

Außerdem ist der Lead die letzte Spur von düsterem Elektropop, die man von dem Album bekommen wird. Denn weiter geht es mit "Zombieboy", der an die übrigen Elemente des letzten Songs anknüpft. Der Beat ist absurd funky, groovey und voller Glitzer. Wer die Augen zumacht, wird in eine 70s Disco voller aufgeknöpfter, bunter Hemden, Schlaghosen und Haarspray geworfen. Der Track erfüllt die wichtigste Voraussetzung einer Liebeserklärung an ein Genre, selbst verdammt gut darin zu sein. Gagas Sprechgesang voller Attitüde in den Strophen und catchy Hookline fügen sich perfekt ein. Da fällt es schwer, wegen des Richtungswechsels sauer zu bleiben. Der heitere Track täuscht über den weniger erfreulichen Inhalt hinweg. Er ist ein Tribut an den verstorbenen Rick Genest, der durch seine Volltätowierung den Spitznamen Zombie Boy bekam.

Der Trend leicht kitschbehafteter Retrosongs zieht sich für den Mittelteil des Albums durch. Das ist mal mehr ("LoveDrug"), mal weniger spannend ("How Bad Do You Want Me").

"Shadow Of A Man" lässt wieder Nostalgie zum eigenen Werk aufkommen, die Strophenmelodie ist klar an ihren eigenen Hit "Telephone" angelehnt, generell hätte der Song perfekt auf ein früheres Gaga-Album gepasst, wenn auch seine Bassline wieder den Funk in sich trägt.

"Blade Of Grass" ist die Antwort auf die Frage, wie Radioheads "No Suprises" geklungen hätte, wenn Lady Gaga ihn für ihren Film "A Star Is Born" umgeschrieben und einen Hauch Bond-Ballade eingestreut hätte. Zum Abschluss gibt es mit "Die With A Smile" einen Bruno Mars-Song. Ich sage bewusst nicht Feature, denn wir befinden uns hier offensichtlich in Bruno Mars' Wohnzimmer, zu Gast ist, wenn überhaupt jemand, Lady Gaga. Aber wenn sie die Chance hat, den Megahit auf ihr Album zu packen, warum nicht?

Am Ende gibt es mit "Mayhem" ein Album, das zum einen die Art von Hits beinhaltet, denen man sich unmöglich entziehen kann. Zum anderen bietet es etwas, an das ich mich nach den Singleauskopplungen erst gewöhnen musste: gute Laune. Ich habe schon immer eher die düsteren, atmosphärischen Cuts ihrer Diskografie gecherrypicked, vielleicht um dem High hinterherzujagen, das das erste Hören von "Pokerface" als kleines Kind in mir ausgelöst hat. Seitdem ich mich damit abgefunden habe, schmeckt aber auch die Olive.

Trackliste

  1. 1. Disease
  2. 2. Abracadabra
  3. 3. Garden of Eden
  4. 4. Perfect Celebrity
  5. 5. Vanish Into You
  6. 6. Killah
  7. 7. Zombieboy
  8. 8. LoveDrug
  9. 9. How Bad Do You Want Me
  10. 10. Don't Call Tonight
  11. 11. Shadow Of A Man
  12. 12. The Beast
  13. 13. Blade Of Grass
  14. 14. Die With A Smile

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Lady Gaga – MAYHEM €19,98 €3,00 €22,99

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Lady Gaga

Stefani Joanne Angelina Germanotta - das klingt nicht nach einem Künstlernamen. So benennt sich die am 28. März 1986 in New York geborene Sängerin …

10 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 8 Stunden

    Ihr bester Output seit 'Fame Monster', hatte wegen den singles auch etwas düsteres erwartet aber die 80s/discofunk Richtung funktioniert einfach richtig gut. 'Blade Of Grass' ist einer ihrer besten Balladen bisher, der komplette Lauf von 'Disease' bis 'Zombieboy' ist einfach durchgehend großartig. Einziges Manko ist, dass der Mittelteil (songs 8-10) mit der großartigen ersten Hälfte nicht wirklich mithalten kann. 'Killah' bester song.

  • Vor 7 Stunden

    Ich Frage mich warum dieses Album (vor allem in den USA) so gute Reviews bekommt. Es klingt total generisch. Die Songs hätte auch eine AI produzieren können.

    • Vor 7 Stunden

      Find ich ja nun gar nicht. Fairerweise muss man sagen: Je "besser" KI wird, desto sinnloser wird der Satz.

    • Vor 6 Stunden

      Stimmt. Ich hätte schreiben müssen, dass die meisten Songs klingen als hätte sie eine einer der ersten Musikgeneratoren, die mit KI arbeiten produziert. Sie sind total generisch, die Texte einfallslos und klischesk. Ich bin Fan von Popmusik, aber das hier ist mir zu belanglos. Tipp: Hör dir mal "Hurry up tomorrow" von The Weeknd an. Das ist ein interessantes Popalbum wie ich es im Jahr 2025 erwarte.

    • Vor 4 Stunden

      Kenne ich schon. Finde ich auch großartig. Sind aber zwei unterschiedliche Ansätze von Popmusik. Ich mag auch die letzten beiden Alben von Dua Lipa. Das hier liegt stilistisch dazwischen. Und insbesondere "Abracadabra" und "Blade Of Grass" könnten nicht weiter von deiner Beschreibung entfernt sein.

  • Vor 7 Stunden

    Musik für schwule Friseure.

  • Vor einer Stunde

    Dieser Kommentar wurde vor einer Stunde durch den Autor entfernt.

  • Vor einer Stunde

    Erste Hälfte ist richtig stark, dann geht dem ganzen Ding die Luft aus. Hab's bei 7,7/10

  • Vor einer Stunde

    Schieb ich mir kurz vor der Mittagspause morgen rein den Shit. Freu' mich drauf. Rülps.

    • Vor 56 Minuten

      ... wer so dermaßen beknackt ist und das selbst auch noch gut findet und darüber hinaus eigentlich eher klassische, italienische Männlichkeit repräsentiert, vielleicht sogar auch ohne sich dessen stets bewusst zu sein, der bzw. die wird vom Wiesel gefrühstückt.

    • Vor 53 Minuten

      Ach, ich mein nicht die ganzen Rollen, die sie spielt. Nein, nein. Ich denke, da ist eine manfrifeste Persönlichkeit, die sie glaubt unbewusst verstecken zu können. Und genau diese ist halt eigentlich männlich, eine künstlerische Robustheit auf kleinstem Raum zusammengepfercht.

    • Vor 30 Minuten

      Italien hat ja in seiner Historie stets in aller Extreme bewiesen, dass exquisite Kultur und expansionistischer Kampfgeist Hand in Hand gehen kann. Dies künstlerisch - möglw. unbewusst - aufzuarbeiten, darzustellen sowie durch körperliche Akte immer wieder auf's neue zu zementieren ist schon eine ganz individuelle Art der minimalistisch-spartanischen Akzentuierung.