laut.de-Kritik
Vom Auenland nach Mordor und zurück.
Review von Josephine Maria BayerDas Phänomen Irish Folk lässt sich am besten bei einem Live-Gig begreifen: Mit energiegeladenen Jam Sessions, die oft weit über die Länge einer Radiosingle hinausgehen, lustigen Anmoderationen und den begeisterten Zwischenrufen und -pfiffen des Publikums entführt ein echtes Irish Folk Konzert in eine andere Welt, deren mystisches Grundgefühl an die fantasievollen Geschichten Tolkiens erinnern. Genau diese entrückte Erfahrung verspricht auch Lankums Album "Live in Dublin". Hier treffen lebendige, an die Idylle des Auenlands erinnernde irische Traditionals auf düstere, spannungsgeladene Instrumentierungen. Die Aufnahmen entstanden im Mai 2023 bei drei ausverkauften Konzerten in Dublins Konzerthalle "Vikar Street".
Der Pub-Klassiker "The Wild Rover" beginnt mit einem geheimnisvollen, monotonen Geigenintro, das zunächst entfernt an eine Autohupe erinnert. Doch als sich Radie Peats Stimme ausdrucksvoll darüber legt, verfliegt die Straßenverkehr-Atmosphäre. Lankum geben dem traditionellen Lied den Anstrich eines mittelalterlichen Minnesangs. Mit der Schunkel-Nummer der Dubliners hat das nur sehr wenig zu tun. Das liegt neben den getragenen Arrangements unter anderem auch daran, dass die ikonische Hook-Zeile "no, nay, never" fehlt. Der elfminütige Opener legt mit seinem düsteren instrumentalen Anstrich einen neuen Fokus auf die Botschaft des Songtextes, der in groben Zügen an die biblische Geschichte des Verlorenen Sohnes erinnert: Ein junger Mann läuft von zuhause weg, versäuft sein gesamtes Vermögen und kommt am Ende reumütig nach Hause zu seinen Eltern gekrochen. "Well Dublin, what's the craic?" fragt Sänger Ian Lynch gut gelaunt mit seinem Dubliner Dialekt nach diesem doch etwas nachdenklichen Einstieg.
Etwas beschwingter klingt ihre Version von "The Rocky Road To Dublin", ein Folk-Song basierend auf einem Stück des irischen Dichters D. K. Gavan aus dem 19. Jahrhundert: "And all the way to Dublin, whack-fol-la-de-da!". Hier stimmt die ganze Band mit feinen Harmonien ein.
Allzu viel gute Laune lassen Lankum an diesem Abend jedoch nicht aufkommen. Ihr Markenzeichen sind die 'Drones': Dröhnende, ominöse Klangflächen, die sie mit Akkordeon, Keyboard, Geige und scheppernden Percussions aufbauen. Mit "The Pride Of Petravore" kehren sie sich vehement vom Tanzen und Fußwippen ab. Dissonante Flötenklänge, ein marschierender Rhythmus und Baustellen-artiges Klirren erinnern eher an das finstere, industrielle Isengard, um beim Tolkien-Vergleich zu bleiben. Die emotional anstrengende Klang-Zerreißprobe zieht sich mit sieben Minuten in die Länge. Ähnlich unangenehm präsentiert sich das sirenenhafte "Go Dig My Grave". Hier dehnen sich rutschende Violinenklänge zäh über das Summen einer Drehleiher aus. Beim Zuhören möchte man sich, wie der Titel es vorschlägt, tatsächlich das eigene Grab schaufeln. Wir sind in Mordor angekommen.
Das Gegenstück hierzu ist der Publikumsfavorit "On A Monday Morning", eine ruhige Ballade, die genau wie "Go Dig My Grave" aus dem Studioalbum "False Lankum" des Vorjahres stammt.
Die drei abschließenden Stücke, darunter "Hunting The Wren" und "Bear Creek" aus dem Album "The Livelong Day" (2019), beenden das turbulente Abenteuer. "Bear Creek" lässt mit Akustikgitarre, Trommel und Violinen wieder lebensfrohe Hobbitstimmung aufkommen - zurück ins unbeschwerte Auenland. Das Publikum juchzt, jubelt und pfeift. Wellenartig schwappt die Begeisterung aus den Lautsprechern und steckt auch jene Zuhörer an, die nicht live dabei waren. "Thanks a million, you absolute fuckin' legends" ruft Ian der ekstatischen Menge zu.
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