laut.de-Kritik
James Dean-Pose für den Fahrstuhl.
Review von Bine JankowskiDie durchschnittliche Haltbarkeit der als "Boygroup" deklarierten Musikformationen beträgt in etwa fünf Jahre. Danach sind entweder die populärsten Charaktere ausgestiegen, die zickigen Jungs im Streit auseinander gegangen oder schlicht und einfach zu alt geworden, um Teenies noch ein Kreischen zu entlocken. Im Fall Lee Ryan liegt die klassische Variante des Ausstiegs vor - wie so oft gekoppelt mit der Ankündigung, von jetzt an auf Solopfaden zu wandeln.
Vor langer Zeit, im Frühjahr 2005, hatte Lee noch den Ruf des verwegenen Wilden bei der Londoner Boyband Blue inne. Die Mädchen lagen ihm zu Füßen, Probleme wie betrunkenes Autofahren (mal mit, mal ohne Führerschein) standen auf der Tagesordnung. Doch damit ist jetzt endgültig Schluss - mit letzterem jedenfalls. Lee Ryan hat sich vor wenigen Monaten von Blue getrennt und veröffentlichte am 7. Oktober sein neues Album "Lee Ryan".
Schon die Gestaltung des Booklets lässt auf eine Persönlichkeitsumpolung schließen. Laut der Biographie auf seiner Labelseite will der Sänger endlich die Fesseln seines Bad Boy-Images abstreifen, das ihm die Musikindustrie auf den Leib geschneidert hatte. Mit seinem Soloprojekt sei nun die Zeit des "soulful, contemporary, adult pop" angebrochen. Ganz nach dem Motto "Lee macht ernst" strahlen einem aus dem Booklet Schwarz-Weiß-Photographien des Künstlers entgegen: Lee in James Dean-Pose an einem tristen Strand, Lee mit verführerisch, geheimnisvollem Blick, Lee schaut ganz nachdenklich zu Boden. Kreieren Sie ein neues Image ganz ohne Vorwaschen und Einweichen! Ein bisschen von dem jungen Troublemaker ist ihm aber noch erhalten geblieben - immerhin trägt er seine Chucks ohne Schnürsenkel.
Lee Ryan, der bereits als Thronfolger von Robbie Williams gehandelt wird, startet mit der bereits veröffentlichten Single "Army Of Lovers" in sein eigenbetiteltes Debüt. Der britische Songwriter Nigel Hoyle hat hier gekonnt in die Mainstreamkiste gegriffen und einen funktionierenden Popsong aus den typischen Floskeln ("I could be you or it could be me / So don't let go / Because I need you so") gebastelt. Lee singt sich durch diese kleine Romanze, ohne sonderlich aufzufallen. Muss er ja auch nicht.
"Close To You" kommt wieder als seichte Popnummer daher, die ich anfangs fast mit "Weather With You" von Crowded House verwechselt hätte. Eine Stiländerung durchläuft Ryan dann mit "Miss My Everything", bei dem neben einer jazzigen Tute und einer versteckten Funkgitarre auch ein wenig R'n'B im Refrain geboten wird. Ähnlich gestalten sich "Real Love" und "Daydreamer", ansonsten bleibt das Album frei von stilistischen Abweichungen.
Sowieso hat "Lee Ryan" keine Ecken und Kanten. Alles wirkt irgendwie glattpoliert und knitterfrei. Selbst die vielfach in hohen Tönen angepriesene Stimme haut nicht vom Hocker, antimarkant wäre für sie wohl der richtige Ausdruck. Insgesamt eignet sich die Platte hervorragend für Hausfrauen auf Shoppingtour. Oder um im Wartezimmer des Zahnarztes Bohrergeheul und Schmerzenschreie zu untermalen. Oder eben für den Fahrstuhl, wo sich sonst auch keiner traut, etwas zu sagen.
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