laut.de-Kritik
Auf der düsteren Seite des Reggae.
Review von Philipp KauseManche Stimmen packen einen beim ersten Hören und lassen einen nie wieder los. Es war eines Tages 2016, als ein Streaming-Dienst mir ein paar Vorschläge lieferte, darunter die mir unbekannte Leilani Wolfgramm. Schon dieser Name klang bereits wie Musik in meinen Ohren.
Die Singer-Songwriterin mit Hang zu Acoustic R'n'B, Dub, Roots Reggae Culture und einem gewissen süßen Gras lässt recht selten von sich hören. Sie ist der klassische Typ Hippie-Sängerin, die mit einer akustischen Gitarre und Gesang bereits einen Raum füllt. Obwohl sie keine Rampensau ist. Dafür auf sensitiver Ebene ergreifend.
Das mag an dem Brüchigen, Kratzigen in ihrer Stimme liegen. An der Schlaftrunkenheit, mit der sie sich scheinbar in ihre Worte hinein plumpsen lässt. Ein bisschen ähnlich dem Amy Winehouse-Effekt. Um so überraschender, dass man genau ihre Stimme in "Adrian" nur weit nach hinten gemischt hören kann. Der an Matisyahu erinnernde Electro-Trip Hop beherbergt einen Gast-Rapper namens Gadzooks und schert aus dem Album aus. Ist aber clever gemastert, mit witzigen Effekten.
Leilanis gefühlsstarke Wirkung mag auch an ihrem breiten Resonanzrahmen liegen: Von rau und fast tonlos bis kräftig himmelhoch trällernd. An ihren kleinen Vibrato-Momenten und an der melancholischen Schicht, die alle Songs überzieht. Sogar die straight-forward-fröhlichen. - "I'm so happy I could cry / I missed the rain", teilt sie in "The Rain" zur Klampfe mit. "I missed that melancholic sound / like heaven falling on the ground".
Leilanis Sinn für Harmonien ist so, dass sie auf jede Süßlichkeit verzichtet. Da haben wir das Schroffe einer Joni Mitchell in den Akkordfolgen. Eine weitere Faszination löst Wolfgramms Kombination aus Folkrock und Roots/Dub aus. Mit dieser Verknüpfung zeichnet sie sich als einmaliger Artist weltweit aus, zumindest wäre mir sonst kaum jemand bekannt. Am Rande, im ein oder anderen Stück, vielleicht Louisa Laakmann, eine Zeitlang Xavier Rudd und in ihren Anfängen Nattali Rize und Michael Franti.
Wolfgramms Titelstück "Bloom" ragt in Alternative und Grunge hinein. Ihren Geschmack schulte sie an Bob Dylan und Bad Religion. Somit endet die Liste ähnlicher Künstler:innen abrupt.
Hinzu kommen auf der Liste der Argumente, warum man Leilani entdecken sollte: Das für unsere Ohren leicht verständliche, klar artikulierte Englisch und die kämpferische Theatralik, mit der sie manchmal vorträgt. "Manners" dient als Abrechnung mit einem fremd gehenden (Ex-)Freund, der nachts um drei nach Hause stolpert. "Hat deine Mama dir kein Benehmen beigebracht? (...) Du bringst mich an meine Grenzen, und ich vertraue nicht mal mehr darauf, dass mir das wichtig ist (...) Du könntest alles bekommen / statt dessen lachst du mich aus, wenn ich stürze und es mir schlecht geht / Du solltest einige Manieren lernen."
Leilani interessiert sich erkennbar für Psychologie und Emotionen und dafür, wie sie uns beherrschen. "In The Dark" handelt von Angst, Furcht und Sorge und davon, wie man sie überwindet, "Don't You Suffer (Interlude)" von Trennungsschmerz, Leid und Momenten, die man nicht festhalten kann. Ein kleines Lied. 72 Sekunden. Aber von massivem Nachhall.
Hier überwiegt der Folkrock, bei "Down" der Urbantronic-Beat im One Drop-Rhythmus, in "Wild Goose" der Indietronic-R'n'B, bei "Bombs" die Wabbel-Dubbiness im Stile des Kollegen Flox.
Vom "O Child (Intro)" bis zum "You're Mine (Outro)" erzählt die Songschreiberin eine facettenreiche Geschichte. Sie malt ein Stimmungsbild in vielen dunkel schattierten Farben, mit Lichtblicken. Grundiert wird das Bild von seelischer Krankheit und Traumata, auch wenn Wolfgramm das alles nie explizit nennt. Auf dem Cover wendet sie uns den Rücken zu.
"Während Reggae zurecht den Ruf von happy-go-lucky hat, taucht Leilani in persönliche Struggles und eine Familientragödie ein, um ein musikalisches Andenken zu liefern, das das Genre auf den Kopf stellt", notierte einst treffend ihr früheres Label Rootfire.
Die 37-Jährige aus Florida mit väterlichen Wurzeln in Tonga (Polynesien) im Pazifik, aufgewachsen mit tahitianischer und hawaiianischer Tanzkultur, tourte einst im Vorprogramm für Ziggy Marley, für SOJA und für die Tribal Seeds durch die Staaten. Dass die Veranstalter von Reggae- und World-Festivals in Europa sie seit zehn Jahren ignorieren, ist ein gravierender Fehler, denn sie ist eine charismatische Performerin. Ihr Katalog an Song-Klassikern ist jetzt wieder ein Päckchen größer geworden.
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