laut.de-Kritik
Da werden Erinnerungen wach!
Review von Philipp KausePop versteht sich oft als weiches Gegenstück zum Rock, und zugleich bedeutet Pop auch populär. Bei der Lighthouse Family fiel zwischen 1996 und 2001 beides prototypisch zusammen. Nun kehrt das Duo mit 13 neuen Songs zurück plus einer Bonus-CD seiner 10 bekanntesten Titel. "Blue Light In Your Head" wird wieder dazu führen, dass Millionen Menschen den schmachtenden Sound mitsummen und sich keiner dazu bekennen will.
Doch obwohl die Titel alle eingängig und glatt poliert über die Bühne laufen, fehlt ein Song mit sofort wirkender Hit-Hookline. Erst dem vorletzten Track, "Under Your Wings", wohnt Megahit-Potential inne. Als weiteres Highlight punktet das bittersüße "Light On" mit den klarsten Motown- und insbesondere Temptations-Referenzen auf dem Album.
Einmal gehört, werden auch Erinnerungen wach, wenn man die alten Lighthouse-Songs auf der Bonus-Scheibe schon früher wahrgenommen hat: "Ocean Drive (Radio Edit)", "Lifted (Single Version)", "Raincloud" und "Loving Every Minute" faszinierten mit ihrer klaren Handschrift. Eine solche Markenprägung versklavt. "Blue Light In Your Head" fordert zwar Respekt mit seinen wohlformulierten Texte ein, das schon. Musikalisch wagt das Album jedoch rein gar nichts. Eine so bruchlose Anknüpfung an den Sound von vor zwei Dekaden kann man charakterstark finden, doch unter 13 Songs wäre Platz für das ein oder andere Wagnis.
Nein, es plätschert das Ergebnis der immer gleichen Rezeptur aus Geigen, charmantem Gesang in mittelschnellem Tempo und Soul-Pop-Balance. Nett, aber monoton. Handwerklich liegt hier fraglos ein vorzügliches, exzellentes, perfektes Album vor, das von Soundqualität bis hin zu textlicher Tiefe keinen Wunsch offen lässt. Die Vocals gehen sehr direkt ins Ohr, und "alles!". Tundes Stimme klingt noch immer angenehm. Es ist auch nicht so schrecklich schlimm, wenn sich eine Band keinen Millimeter weiter entwickelt. Alles okay, aber ein Comeback nach so langer Zeit könnte glitzernder, funkelnder, größer ausfallen.
Den beiden Ohrwurm-Akteuren selbst waren die Lyrics wichtig. Der durchgängige Faden durch die Songtexte hindurch verwebt die Ideen von Rettung ("My Salvation", "Who's Gonna Save Me Now?") und Zuversicht ("Light On"). Weitere Themen: Optimismus, den "blauen Himmel" im Kopf zu entdecken, Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen und sich unsterblich ("Immortal") zu fühlen, all das unterlegt das Duo mit hymnischen Melodien und Sounds. "Ich mag Hymnen, schon immer", sagt Tunde. "Als Kind war ich im Chor, und alle Songs auf dem Album haben glaube ich dieses Hymnen-Gefühl. Sie sind 'Urban Hymns'".
"Live Again" bringt ein Lob auf den Neuanfang aus. Ob "empty days", "the dark day", "the last days of summer", "days of silence" oder keinen Ausweg davor "alles zu verlieren" – es geht immer weiter, gibt immer eine nächste Chance. "The Long Goodbye" handelt ebenfalls davon, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt alles Erlebte neu bewerten lässt und Sinn ergibt. Das fast sechsminütige "Waterloo Street" wartet mit etwas mehr Tempo auf als die anderen Stücke. Das Synth-Programming samt Geigen-Loops erinnert etwas an die Simply Red-Songs von früher und auch an "Lifted", den Klassiker der Lighthouse Family.
Im Song "Super 8" knüpft die Gestaltung in Musik und Lyrics dezent an "The Sun Ain't Gonna Shine Anymore" von den Walker Brothers, einen Hit von 1966 an, dreht das Motiv aber trotz melodischer Ähnlichkeit um: "The Sun Is Gonna Shine Again". Als sich die Lighthouse Family 1997 auf ihrem Höhepunkt befand, stellten die Elektronikkonzerne übrigens die Produktion mehrerer Super 8-Filmformate ein. Super 8, das stand für Nostalgie und peinliche Urlaubsfilme. "Blue Sky In Your Head" gibt vor, dass hier alles nur so vor Zuversicht zu bersten droht. Vertieft man sich in die Details der Texte, blicken diese jedoch einheitlich zurück.
"The Streetlights And The Rain" bringt das Stimmungsbild auf den Punkt: Es regnet, die Straße ist in Feuchtigkeit getaucht und jemand sitzt einsam zu Hause, starrt auf sein Telefon und wartet auf einen bestimmten Anruf. Aus dem rhythmisch verwackelten, reduzierten Keyboard-Schlagzeug-Stück "Under Your Wings" tropft nicht ganz so viel Tränenfeuchtigkeit. Tundes Lead-Gesang vereinnahmt dank rauer Tiefe. Der Sänger verfügt über eine herausragende Deutlichkeit, artikuliert sehr klar. Manchmal wäre hier allgemein sogar etwas mehr Understatement zu wünschen. Denn Pop und Verständlichkeit zeichnen dieses Album zwar aus und die Songs sind "sticky like glue", haften sich an die Gehörgänge sofort wie magnetisch an – und doch fehlt es an Kompaktheit.
So drängt sich der hoffnungsvolle Blick auf die Bonus-Scheibe auf. Der R'n'B-Titel "Loving Every Minute" strahlt nach wie vor Zeitlosigkeit und Eleganz aus. "Lost In Space" braucht seine Zeit, bietet aber besagten dramaturgischen Aufbau, der den neuen Songs abhanden kommt. Dennoch fehlt einer ihrer markantesten Songs, "Run", und das Tracklisting spiegelt zu 80 Prozent genau dasjenige der "Greatest Hits" a.k.a. "Very Best Of" von 2002/03. Die eigentliche Tragik besteht aber in dem einzigen wesentlichen Unterschied zwischen alten und neuen Tracks: dem jetzigen Mangel an frechen, angejazzten, funky Momenten. Hört man heute Songs wie "Keep Remembering" und "Heavenly" aus dem Debüt, dann waren sie doch visionärer als der Konfektions-Pop auf "Blue Sky In Your Head". Ein nachhaltiges Comeback hat das Duo dennoch verdient.
3 Kommentare
Ich warte schon den ganzen Tag auf den Bohlen-Verriss! Macht mal hinne!
man muss denen zugestehen, dass Whatever gets you ein wirklich durchgehend starkes Album mit guten Songs ist.
"..dem vorletzten Track, "Under Your Wings", wohnt Megahit-Potential inne."
Jo, ein richtiger Gassenhauer! Ähm, ja. Schon lustig, wie Musik-Redakteure dann ab und an versuchen, ihre Vorlieben zum Konsens zu erklären.