laut.de-Kritik

Intim, zerbrechlich und schonungslos offen.

Review von

In ihrer Karriere als Pop-Sängerin erregte die 33-jährige Lily Allen mit ausschweifenden Partyexzessen oftmals die Gemüter. Dabei veröffentlichte sie von 2006 bis 2014 insgesamt drei Alben, die zwischen Reggae ("Alright, Still") und Electro ("Sheezus") von ihrer stilistischen Vielfalt zeugen. Mit "No Shame" besinnt sie sich nun auf das Wesentliche.

Die intimen Einblicke in ihr von Höhen und Tiefen geprägtes Privatleben, die sie auf dem Album gestattet, flankierte eine besondere PR-Maßnahme. Nachdem ein Fan ein Live-Foto von ihr tweetete, auf dem man ihre Vagina erkennen konnte, veröffentlichte die Sängerin das Foto einfach selbst, verwies darauf, dass sie drei Kinder geboren habe und setzte darunter den Hashtag #noshame sowie das Veröffentlichungsdatum der Platte.

In "Trigger Bang", einer Zusammenarbeit mit dem Rapper Giggs, schaut sie zu leichtfüßigen Pianoakkorden und Hip Hop-Beats auf ihre Teenagerzeit zurück, als sie erste Erfahrungen mit Drogen und Alkohol sammelte. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms vor rund neun Jahren betäubte sie ihren Schmerz mit Kokain. "Everyone knows what cocaine does / Numbing the pain when the shame comes", fasst sie in dem Song zusammen, was sie mit dieser Droge verbindet. Zuvor singt die Mutter von zwei Kindern über ihre zerbrochene Ehe mit Sam Cooper in "Come On Then" mit effektbeladener Stimme zu hektischen Electro-Pop-Klängen "I'm a bad mother / I'm a bad wife".

Ihre Ausgelassenheit hat sie auf "No Shame" nicht verloren. Dennoch kommt das Album nachdenklicher als ihre bisherigen Werke daher. Musikalisch bündelt die Scheibe sämtliche Qualitäten der Sängerin auf knapp einer Stunde. Darüber hinaus klingt die Platte dank modernen Hip Hop- und Dancehall-Elementen alles andere als vorgestrig.

"Your Choice" erinnert an das karibische Flair ihres Debüts "Alright, Still", während der Nigerianer Burna Boy die Nummer mit seinen lässigen Raps erfrischend auflockert. In "Lost My Mind" führen zirpende Synthies und exotische Rhythmen auf die falsche Fährte, wenn sie sich mit ihrer Depression auseinandersetzt. Vor allem die ruhigen Momente in der Mitte des Albums sind ihr gelungen, allen voran "Family Man", eine zerbrechliche Ballade über die Angst, an den Anforderungen des Lebens zu scheitern, die Mark Ronson mit eleganten Streicherteppichen unterlegt.

Dass sich Familie und Tourleben im Grunde genommen nur schwer miteinander vereinbaren lassen, skizziert die Britin in "Three". Für Dramatik sorgen in der Nummer Pianotöne in tiefstem Moll. Diese Unverfälschtheit sucht man im aktuellen Pop-Geschäft mit der Lupe. Politische Songs wie "Fuck You" von 2009, eine ironische Abrechnung mit dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, sucht man leider vergebens.

Einen Verweis auf die #metoo-Bewegung stellt "Cake" dar, das sich an die R'n'B-Ästhetik der 90er-Jahre anlehnt. Darin fordert Lily ihre Zeitgenossinnen auf, für ihre Rechte einzutreten. Davor blickt sie im euphorischen, mit Trap-Beats versehenen "Pushing Up Daisies" zuversichtlich in die Zukunft. Schließlich prägen positive Phasen das Leben genauso wie persönliche Krisen.

Lily Allens schonungslose Offenheit auf "No Shame" nötigt eine Menge Respekt ab. Gleichzeitig entwickelt sich die Sängerin musikalisch auf natürlichem Wege weiter. Dafür kristallisieren sich Ohrwürmer wie "Smile" und "Not Fair" erst nach mehreren Hördurchgängen heraus. Den zu überladenen Vorgänger "Sheezus" macht diese Platte schnell wieder vergessen.

Trackliste

  1. 1. Come On Then
  2. 2. Trigger Bang
  3. 3. What You Waiting
  4. 4. Your Choice
  5. 5. Lost My Mind
  6. 6. Higher
  7. 7. Family Man
  8. 8. Apples
  9. 9. Three
  10. 10. Everything To Feel Something
  11. 11. Waste
  12. 12. My One
  13. 13. Pushing Up Daisies
  14. 14. Cake

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5 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 6 Jahren

    Ihr bestes Album. Und nein, ich habe "It's Not Me, It's You" nicht vergessen. Gerade die ersten 5 Songs haben es mir angetan. 4/5

  • Vor 6 Jahren

    Lily allen hat ja laut eigener Aussage "spent ages giving head" wenn ich mir so die Forenkarrieren diverser member über die Jahre ansehe, denke ich, die Zeit hätte auch besser genutzt werden können bzw. investiert werden können

    XOXO und ♥ @ lily

  • Vor 6 Jahren

    Für mich eher ihr schwächstes Album. Musikalisch tut sich einfach nix, ein paar nette Songs wie Lost My Mind oder Trigger Bang. Texte sind nach wie vor gut zB Come on then, aber im gegensatz zu Sheezus (das auch eher schwach war) ist hier alles so uninspiriert und fad, es plätschert einfach vor sich hin, ohne hängen zu bleiben. Am schlimmsten finde ich (von Kritikern als Highlight gesehen) Three und Family Man, solche Balladen stehen ihr mMn einfach nicht und sind anstrengend und jedes ihrer Alben hat 2-3 solche Songs. Für mich eine 2,5.

  • Vor 6 Jahren

    "auf dem man ihre Vagina erkennen konnte"

    Als lüsterner notgeiler Bock hab ich offensichtlich was versäumt. Toni, bei meinem Review zu dem Album hätte ich das Foto dran geheftet, bestimmt kein Copyright drauf auf die Vagina, oder?

  • Vor 6 Jahren

    Besser als das enttäuschende Sheezus, aber leider trotzdem Lichtjahre entfernt von den genialen ersten beiden Alben. Vielleicht beim nächsten mal.