laut.de-Kritik
Geile Liveshow unvollkommen auf Platte gebracht.
Review von Yannik GölzManchmal stolpert man über einen Albumtitel, der so provokant und plakativ auf eine Platte geklebt ist, dass man kurz innehält, sich das Kinn kratzt und dann verwundert fragt: Ist dem so? Vor allem, wenn er von einer coolen Person kommt. Lisaholic ist in der Berliner Rapszene wohl etabliert als eine der besten Live-Shows, die die Gegenwart zu bieten hat. Ihre perkussive Bassmusik, ihre sozialkritischen Parts, die Loop-Station, sie kann auf der Bühne tödlich abreißen und hat ihren Stellenwert als Untergrund-Unikum schon lange bewiesen. Nur eine wirklich definitive Platte blieb bislang noch aus.
Nun proklamiert ihre neue EP, dass das Leben zu kurz für Popmusik sei. Doch ohne die Feuerkraft eines richtigen Soundsystems im Rücken hätte ein bisschen mehr Pop-Sensibilität diesem Projekt vielleicht nicht geschadet.
David Byrne von den Talking Heads hat in seinem Buch "How Music Works" mal gesagt, dass man Musikerinnen und Musikern immer anhören wird, für welches Medium sie Musik eigentlich machen. Opernsänger singen so schallend laut, wie der menschliche Körper es hergibt, weil im 16. Jahrhundert kein Mikrophon erfunden war und sie irgendwie den letzten Hansel im Opernhaus erreichen mussten. Soundcloud-Rapper murmeln in ihre Mics, weil sie ihre Lines nie gegen eine Jugendhausbühne mit beschissenem Soundsystem anschreien mussten, sondern einfach den Kompressor bemühen, um dann so viel Erschöpfung oder Depression in ihre Stimme klingen zu lassen, wie sie wollen. Und Lisaholic macht tanzbare Percussion-Kaskaden, weil sie live mit ihren Boxentürmen durch Mark und Beinen gehen. Was macht sie nun aber mit Musik, die bei Hörerin und Hörer vielleicht nicht gerade mit massivem Soundsystem gehört werden?
Das Schöne an "Das Leben Ist Zu Kurz Für Popmusik" ist, dass man merkt, dass sie eine fantastische Liveshow macht. Das Problem ist aber, dass sie nicht viel darauf zu achten scheint, ihre Musik aus dem Medium Stage in das Medium Platte zu übersetzen. Selbst mit guten Kopfhörern und respektabler Lautstärke tut die oft sehr auf rumpelnde Percussion setzende Musik einfach zu wenig, um Raum aufzufüllen. Viele Songs klingen wie uneingerichtete Räume, als würden mindestens zwei Elemente im Mix fehlen. Vielleicht gibt dem ein oder anderen diese sehr rohe und direkte Ästhetik etwas, aber ein klein bisschen mehr Echo, ein klein bisschen mehr Ambience, eine kleine Prise Funkel-Glitzer-Glitzer, ein Quäntchen mehr Pop, das hätte bei diesen Songs Wunder gewirkt. DIY in Ehren, aber da hätte doch noch eine zweite Produzentin des Vertrauens draufschauen können.
Dabei merkt man ja, dass der Pop-Hate im Titel eigentlich nicht ganz so gemeint ist: Lisaholic macht eine Menge Spaß. Der Loop-Station-Chop-Refrain auf "Halbe Teile Rollen Nicht" klatscht, die Scrachtes auf "Jazz" zeugen von extremem musikalischen Feingefühl. Aber in diesen kahlen musikalischen Räumen bleiben auch ihre Texte ein bisschen zwischen klanglichem Rohbau stecken, der weder den markerschütternden Bums ihrer Liveshow zeigt, noch atmosphärischen Studiozauber zu bieten hat. Und das ist schade, weil die Texte eigentlich richtig gut sind.
Lisaholic gehört grundsätzlich zu dieser wachsenden Zunft der "Richtige-Sachen-Sagern" und setzt sich auf den Tracks mit der deutschen Wohnsituation (gerade in Berlin berechtigtes Frustablassen), dem Generationenvertrag oder Social Media auseinander. Und nicht nur sind ihre Gedanken klug, sondern auch ihre Darbietung ist eine erfrischende Mischung aus locker und schnippisch. Sie wirkt wie die Sorte Mensch, die andere Leute intellektuell auflaufen lassen können, ohne dass die andere Person es überhaupt merkt oder die Sympathie verliert. Auch die Flows gehen Hand in Hand mit dieser Lockerheit, seien es die geschäftigen Battlerap-Reviermarkierungen auf "Jazz", das solidarische Verstehen von gesamtgesellschaftlichen Problemen auf "Bürge Gesucht" oder die interessant geflowten Lines auf "Dopamin", die immer ein bisschen früher enden, als man denkt. Lisaholic ist viel, was man sich von einem modernen MC wünscht: Sie ist handwerklich blitzsauber, technisch anspruchsvoll und clever, ohne abgehoben oder preachy zu wirken.
Und doch ist "Das Leben Ist Zu Kurz Für Popmusik" ein frustrierendes Hörerlebnis. Denn obwohl man spürt, dass da handwerklich richtig coole Musik und viel handwerkliches Talent drinsteckt, irgendwie springt sie trotzdem nicht heraus. Wollte man Leuten erklären, dass Lisaholic gerade eine der coolsten Liveshows in Berlin macht, würde man das nicht mit dieser EP belegen. Sie fühlt sich mehr wie das zweidimensionale Schattenbild einer eigentlich dreidimensionalen Musikphilosophie an. Und bis sie einen Weg findet, das Medium der aufgenommenen Musik nicht als Kompromiss, sondern als Chance wirklich zu ihrem Vorteil auszuspielen, lässt sich auch diese EP nur mit Abstrichen empfehlen. Solltet ihr die Frau aber live sehen können, tut das trotzdem unbedingt – ihr werdet es nicht bereuen.
1 Kommentar mit einer Antwort
in Abwandlung des Albumtitels : Das Leben Ist zu wertvoll Für diese Musik
Deins nicht.