laut.de-Kritik
Das (vielleicht) abgedrehteste Album der Sechziger.
Review von Moritz FehrleFünf reichlich verlotterte Gestalten sitzen in einem zerfallenen Schloss und schmeißen Drogentrips. Zwei Jahre vorher haben sich die Anfang Zwanzigjährigen als Band unter dem sehr hippiesk programmatischen Namen Love zusammengetan und doch zeigen sich hier in der Kommune im Norden Los Angeles die Schattenseiten des Sommers der Liebe.
Insbesondere Arthur Lee, der Kopf der Gruppe, steckt, kaum 22 Jahre alt, in der Krise seines Lebens und ist so schwer heroinabhängig, dass er sich sicher ist, diesen psychedelischen Sommer nicht zu überleben. Ein letztes künstlerisches Statement habe er noch hinterlassen wollen, lässt der Musiker im Nachhinein verlautbaren. Mit "Forever Changes" schafft er das psychedelische Kultalbum schlechthin und das vielleicht unbekannteste Werk, das zuverlässig seinen Weg in jede Auflistung der größten Momente der Rockgeschichte findet.
Von all den großen psychedelischen Alben des Jahres 1967 ist es womöglich das beste, definitiv aber das finsterste. Statt Flowerpower gibt es hier eher die Blumen des Bösen zu bestaunen. Vietnam, Atomwettrüsten, Drogenmissbrauch und die damit einhergehende Paranoia finden allesamt Einzug in die Gedankenwelt des Albums. Der Blick geht nach außen statt innen. Aus "picture yourself in a boat on the river" wird "sitting on a hillside watching all the people die".
Zugegeben, das klingt übermäßig düster. Das an Klaus Voormans legendäres Revolver-Design angelehnte Albumcover, das die Köpfe der Bandmitglieder in Herzform zeigt, deutet schon an, dass es musikalisch doch bedeutend farbenfroher vorgeht. Das eröffnende "Alone Again Or" steht symptomatisch für die Kontraste, die das Album prägen. Ironisch-bittere Zeilen treffen hier auf eine aufgedrehte Melodie und einige für die Rockmusik ziemlich ungewohnte Einfälle. Da wäre besonders die dynamische Instrumentierung, die sich aus einer einzelnen Akustikgitarre entspannt und später um an- und wieder abschwellende Streicher und Bläser erweitert wird, oder das krachende Trompetensolo zur Mitte des Songs zu nennen.
"Alone Again Or" ist neben dem folkigen "Old Man" einer von zwei Beiträgen von Bryan MacLean auf dem Album. Der ehemalige Roadie der Byrds ist neben Lee die zweite kreative Antriebskraft der Band. Allerdings steht es auch mit ihm zu Beginn des Aufnahmeprozesses nicht gerade zum Besten - die Kommune und die Drogen, wir erinnern uns. Erst als Arthur Lee Session-Musiker anheuert, reißen sich seine druffen Bandmitglieder am Riemen. Auf zwei der Songs ("Andmoreagain" und "The Daily Planet") sind dennoch bis auf Lee nur Studiomusiker zu hören.
Wenn die fünf Musiker sich an der Künstlerehre gepackt doch noch im Studio zusammenfinden, zeigen sie sich wenn auch nicht gerade als Virtuosen, so doch als bestens eingespieltes Team. Das schrammelnde Solo von Gitarrist Johnny Echols auf "Live And Let Live" oder die ungewöhnlichen Drumpatterns sind nur einige der Beispiele, warum Love, obwohl zeitweise so bezeichnet, immer weit mehr war als Arthur Lee und seine Mitstreiter.
Und warum die Musiker im Jahr 1967 auch den direkten Vergleich mit der zweiten Band aus Los Angeles, die bei Elektra unter Vertrag steht, gewinnen. Die ungleich bekannteren The Doors mögen den charismatischeren Frontsänger haben, die ausgereifteren Songs aber hat Love.
Diese sind nicht nur vielfältig und pointiert orchestriert, sie spielen auch meisterhaft mit der Erwartungshaltung der Zuhörenden. "Forever Changes" wimmelt nur so von plötzlichen Pausen, Betonungen, die eine Viertel zu spät kommen und Reimen, die nicht aufgelöst werden. Das Album beeindruckt mit einer sprudelnden Kreativität und einem Ideenreichtum, der seinesgleichen sucht. Die eigentlich recht simplen Liedstrukturen werden derart stark gebrochen, verziert und mit anderen Songideen verknüpft, das die Hörenden eigentlich nie wissen, was sie gleich erwartet.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weiß das Publikum wenig mit dieser obskuren Mischung anzufangen. Während die Labelkollegen um Jim Morrison sich hinter den Beatles auf Platz zwei der Billboard Charts einreihen, bleibt "Forever Changes" in den USA ein echter Ladenhüter. Im Vereinigten Königreich sieht die Lage schon ein wenig besser aus, aber dahin tourt die Band nicht.
Ohnehin bricht die Originalbesetzung nach dem Album und dem Abgang MacLeans auseinander. Bis 1974 veröffentlicht Arthur Lee mit wechselnden Musikern noch vier weitere heute weitgehend vergessene Alben (eines mit Gastauftritt von Buddy Hendrix), doch er scheitert bis zur endgültigen Auflösung im Jahre 1996 immer wieder an einer Wiedervereinigung des originalen Quintetts.
Die chronische Erfolglosigkeit der Band trägt einen nicht unerheblichen Teil zur Mythenbildung um Love und ihr Meisterwerk bei. Die elf Songs tun ihr übriges. Denn so abgedreht, unerwartet und von Konflikten geprägt, erlebt man Musik nur ganz selten. Auch fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung wirkt "Forever Changes" faszinierend obskur.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare mit 5 Antworten
Die Platte ist auf jeden Fall speziell, vor allem textlich. Aber abgedreht waren da ganz andere. Gegen "Trout Mask Replica" wirkt das hier wie entspannte Hotellobbymusik.
Der Vergleich hinkt aber. "Forever Changes" ist drogeninduzierter Psych Folk, aber definitiv nicht sperrig oder unzugänglich. "Trout Mask Replica" hingegen stellt die Geduld des Zuhörers auf die Probe.
Love hatte einfach das Pech, dass das Album ohne große Promo erschien, auch weil Elektra alles auf The Doors setzte. Hitpotenzial wäre da gewesen.
Ja, das sieht man schon an dem Calexico Cover
Wurde auch mal Zeit. Eines der größten Alben der Musikgeschichte, majestätisch orchestriert und randvoll mit strahlenden Melodien, ohne jemals zu bekömmlichem Pop zu werden, was natürlich auch an den tiefschwarzen Texten liegt. Mit "Bummer in the Summer" ist sogar Proto-Rap mit dabei.
Für Arthur Lee muss es eine lebenslange Schmach gewesen sein, dass der bekannteste Song ("Alone Again Or") auf seinem Meisterwerk nicht von ihm stammt.
Bei "Bummer in the Summer" höre ich ja immer auch eine Dylan-Imitation raus.
Alone again or ist natürlich ein Brecher, auch Titel 2 ist noch stark. Aber dann flaut die Songqualität ganz schön ab. Auch die Bummer Dylan Kopie klingt gelinde gesagt nervig. Im Schnitt nicht mehr als 3 Sterne, und die stammen im wesentlichen aus den ersten beiden Liedern.
Jeder Song auf dem Album hat seine Qualitäten, aber es gibt halt keine echten Instant Hits oder Ohrwürmer der Marke "Light my Fire" und 1967 wollte man den eingängigen, polierten Pop der Marke Beatles und Beach Boys. Für mich gehört "Forever Changes" zu den (kommerziell erfolglosen) Alben, die ihre verwunschene Schönheit erst beim wiederholten Durchhören vollends entfalten, wie z.B. auch "Astral Weeks".
Ok, kann man so sehen. Aber Astral Weeks spielt mindestens 1 Liga darüber. Alleine was der Bass so auf Sweet Thing oder The Way young lovers do (zugleich auch mein Anspieltipp) so spielt ist Wahnsinn.
Alone again or ist alleine schon ein Mega Song.
die Platte erinnert mich an einen guten Abend mit einer Frau. Die Frau hat sich kurz drauf unsäglich verpisst
Alone Again Or - ungefähr 100x bei Alan Bangs' Nightflight gehört. Das Album gekauft. Nicht enttäuscht worden.