laut.de-Kritik
Lahm und zahm, aber ein bisschen besser als Spector.
Review von Philipp KauseWer Schlafprobleme hat, versucht oft, sie mit destruktiven Maßnahmen zu beheben. Davon handelt der Song "I'm So Tired", den John Lennon 1968 schlaflos in Indien verfasste. Fürs weiße Doppelalbum sang er ihn, wieder zuhause und ausgeschlafen(er), in schauspielerischer Brillanz und ausgezeichneter Dynamik ein, moduliert zwischen zart und vehement, 56 Jahre vor Lucinda Williams. "Although I'm so tired, I'll have another cigarette." Maladaptives selbstzentriertes Coping, so nennt das der Stressforscher Richard Lazarus. Alles beginne im Kopf, da gibt ihm Lennon Recht: "I can't stop my brain." Ringo Starr trommelt dazu klasse.
Es gibt dem nichts hinzuzufügen. Anders als bei Bob Dylan gedeihen nur wenige Beatles-Nummern in einer Fremd-Interpretation zu einem besseren Song oder gar zu mehr Ruhm. Herausragende Versionen gibt es zwar ein paar, auf dem neuen Tribute-Album "Sings The Beatles From Abbey Road" jedoch nur zwei inmitten der zwölf Tracks. "I'm So Tired" zählt nicht zu den Treffern. Meist covert Williams zum Gähnen. Handwerklich meistert sie mit ihrer Band die Aufgabe gut, nachdem sie schon Stones und Tom Petty als Tribute-Themen abarbeitete.
Kreativ geht sie leider nur in wenigen lichten Momenten vor. Weder "Let It Be" noch "While My Guitar Gently Weeps" oder gar das seit Shirley Bassey unübertroffene "Something" halte ich für gesunde Vorschläge für eine Tribute-Tracklist. Lucinda scheitert an allen drei Super-Hits mit geballter Langeweile.
Lohnenswertes zum Vergleich: Ikonisch auf dem Markt der Beatles-Remakes ist das Live-Cover zu "Eleonor Rigby" von Aretha Franklin. Stevie Ray Vaughan verwandelte George Harrisons "Taxman" in ein forderndes, funky-feuriges, markiges und bärbeißiges Blues-Ungetüm, das man heute als 'Referenz'-Version betrachten kann. Evanescences ätherisch-fragile Hinhör-Version von Lennons "Across The Universe" ist die zauberhafteste Umsetzung dieses Songs, und auch Fiona Apple singt ihn so gut und verzichtet so geradlinig auf Phil Spectors Schnickschnack, dass sie das Original toppt. Solche Cover braucht die Welt. Ringo Starrs "Octopus's Garden" krallten sich kurz nach Erscheinen die Muppets aus der Sesamstraße für eine dissonante Unterwasser-Blubber-Parodie. Ein Kugelfisch persifliert Ringos knödelige Stimme.
Lucinda hat derweil ein konzeptionelles Problem: Sie bedient sich fast nur der 'blauen' Phase. Bei den Beatles unterscheidet man ja grob die Phasen der blauen und roten roten Doppel-LP-Compilation. Die rote reicht von 1962 bis '66, umfasst meist kurze Stücke und das Aufkommen der Beatlemania, das Überschwappen der Beat-Musik in die USA. In diese Zeit fallen die ersten Psychedelic-Gehversuche auf "Rubber Soul", das Ende aller Tourneen, die Kontakte zu Ravi Shankar und schließlich das erste Konzeptalbum "Revolver". Die blaue Compilation für die Spanne von 1967 bis '70 reicht vom "Sgt Pepper"-Album bis zur Auflösung des Quartetts. Zu Lucindas konzeptionellem Manko gehört, dass ihre Liederauswahl beliebig wirkt. Und insgesamt erzählt sie keine Geschichte.
Alleine ein ganzes Album ließe sich schon nur mit Songs zusammen stellen, die Pauls Beziehung zur Schauspielerin Jane Asher dokumentieren. So speist sich "I'm Looking Through You" aus dieser Liaison, die nach fünf Jahren anlässlich dessen zerbrach, dass Jane ihren Paul beim Fremdgehen erwischte. Es gab noch weitere Spannungsfelder. Somit hält das Lied einen vielschichtigen Hintergrund bereit. Paul erachtete seine Musikerkarriere für wichtiger als Janes Bühnen-Laufbahn, aber: Sie spielt bis heute in England Theater, ließ sich von ihm nicht aufhalten. Seinen LSD-Konsum sah sie kritisch. Sie begleitete die Beatles sogar nach Indien, trotz ihrer großen Rolle im Leben der Fab Four, und als Inhalt von mindestens acht Songs hat man sie gar nicht so auf dem Schirm.
"I'm Looking Through You" fristete als Song auch eher ein Mauerblümchen-Dasein im Katalog. Offen für viel Spielraum beim Interpretieren ist der Text: "You don't look different / but you have changed. / I'm looking through you / you're not the same." - Das Stück heraus zu ziehen, ist gut. Lucinda gibt es ein bisschen besoffen-verklärt in der Anmutung zum besten, jedoch entlockt sie dem Tune von "Rubber Soul" nur einen kurzen Aufmerk-Effekt am Anfang. Hat man sich an ihr Genöle gewöhnt, hält die Performance keine weiteren neuen oder gar hörenswerten, interessanten Aspekte vor. Sie betreibt business as usual. Ein empfehlenswerter Einheizer ist dagegen die Soul-Abwandlung von Jimmy Cliff (1967).
"Can't Buy Me Love" war die Vorab-Single zu "A Hard Days Night" 1964, dem ersten Album der Liverpooler, das keine Coverversionen mehr enthielt - während sie zuvor ihrerseits viel US-Material einspielten. Hier erzielt die Americana-Sängerin einen handwerklichen Mehrwert gegenüber dem etwas abrupten und hektischen Spiel seiner Urheber - mir gefiel das Lied nie, bei Williams jetzt schon. Richard Dauson veredelt es an der E-Orgel, Butch Norton (ehemals Eels) an den scheppernden, lebhaft und elastisch gejammten Drums. Doug Pettibone, ein langjähriger Kompagnon für Lucinda, macht sich an der zitternden Pedal-Steel bemerkbar. Die Band musiziert at its best, und Lucindas Art zu singen passt zum Material.
Verrucht und benebelt, im Gaumen ihr Timbre entfaltend, so wirkt die Country-Grande Dame auf der einstigen "Get Back"-B-Seite "Don't Let Me Down". Den eingefleischten Beatles-Fan wird sie damit dennoch nicht hinterm Ofen vorlocken. Auf dem "White Album" findet sich "Yer Blues", Stimmungsbild eines langen Trips nach Rishikesh in Nord-Indien. Wie Lennon als Verfasser des Songs im Original die Zähne fletscht, das inspirierte Phish zu einem Live-Cover, das ihnen glückte, stellt jedoch Lucinda vor eine unüberwindbare Herausforderung. Ihr Beitrag ist so lahm wie zahm.
"The Long And Winding Road" landete ein Jahr nach der Trennung der vier Freunde in London vor Gericht. Geklagt hatte McCartney. Strittig war, ob er der Verunstaltung des Liedes durch den von Lennon, Harrison und dem Manager der Gruppe beauftragten Produzenten Phil Spector zugestimmt habe. Allen Klein führte ins Feld, ein telefonisches Einverständnis habe vorgelegen. Spector überflutete die Aufnahme, auf der Paul ausnahmsweise Klavier und John für ihn Bass spielt. Eine Harfe, ein 28 Personen zählendes Streicher-Ensemble, sechs Bläser und ein Chor aus 14 Sängerinnen richteten das Lied so zugrunde, dass man zwar eigentlich nur noch einen kitschigen Klang-Brei hört.
Doch diese mit Abstand schlechteste Beatles-Aufnahme aller Zeiten verkaufte sich millionenfach. Das deutsche Publikum reagierte zumindest ein bisschen zurück haltend und ließ die Platte nur bis auf Rang 26 der Charts steigen. Lucinda versagt hier vollends, indem sie den betulichen Schrott möglichst brav zu kopieren versucht. Das Resultat hört sich immerhin besser als Spectors Monument an. Es geht aber sowieso nichts über Aretha Franklin. Stimmlich, dramaturgisch, wie auch hinsichtlich Aufnahmequalität, Arrangement und Spiel der Instrumente haut ihre Version einfach um, mit Atlantic-Gitarrist Cornell Dupree, Donny Hathaway an den Keyboards und ironischer Weise mit dem quasi 'fünften Beatle' Billy Preston als Organist. Solche Begeisterung entfacht Lucinda Williams leider an keiner Stelle ihres Tributes.
Zum finalen Album der Psychedelic-Pioniere The Beatles gehört "I've Got A Feeling". Der Text enthält ein Mischmasch aus Lennons Sinnieren über Heroin, die Querelen der Bandmitglieder privat sowie als Gruppe und eine Liebeserklärung McCartneys an seine neue Freundin Linda. Auffallender als bei den Fab Four selbst gestaltet Lucinda Williams den Song explosiv, rockiger, wobei die Fab das bei ihrem Rooftop Concert selbst auch machten. Somit findet sie hier den Höhepunkt ihres glücklosen, aber auch nicht schlechten Cover-Albums. Wer weiter und tiefer in die Geschichte des Liedes vordringen will, ist mit der temperamentvollen und zugleich subtil vibenden Version von Texas gut beraten.
So wie Lucinda schon ihre Faszination für die Muscle Shoals-Studios in Alabama auslebte, tat sie es nun in Bezug auf die Abbey Road-Studios. Genau dort hin, wo die Beatles aufnahmen, begab sie sich für diese Platte, wohl vor allem zur Selbstverwirklichung. In Tore verwandelt sie diese Vorlagen immerhin so wenig, dass sie gegenüber anderen covernden Artists deutlich mit 1:8 unterliegt - im Vergleich zu Künstler:innen, die weit mehr aus den Songs heraus kitzelten.
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