laut.de-Kritik
Ein lauschiges Händchen fürs Psychedelische.
Review von Yannik GölzLuna Li macht Easy Listening für Kenner. Das klingt jetzt erst mal wie ein Kompliment, ist aber in Wahrheit normalerweise die allerschlimmste Kombo. Da sitzen dann diese Atzinnen und Atzen und machen glatt dahin flätzende Musik, jeder spielt siebzehn Instrumente, natürlich inklusive Dulcimer und Himalaya-Triangel. Langweilig ohne Ende, aber Menschen, die mal 'Lineare Algebra zwei' belegt haben, finden es handwerklich irgendwie beeindruckend. Weil da sind Keychanges, und da ist eine Kopfstimme und eine Bruststimme und irgendwas referenziert ein alte Joni Mitchell-Demo.
All dies trifft zu einem gewissen Grad auch auf Luna Li zu: Die koreanisch-kanadische Multi-Instrumentalistin ist ein Musikhochschulen-Zögling. Immer wieder will sie uns im Verlauf des Albums mit Soli auf Flöte und Harfe beeindrucken, als plane sie in zehn Jahren die eine Grammy-Nominierte zu sein, die nicht gewinnt, aber die auch keiner wirklich kennt. Jacob Collier und Jon Batiste, ihr seid gemeint.
Dennoch ist Luna Lis neues Album "If A Thought Could Grow Wings" großartig. Und zwar trotz des Musikhochschul-Gewichses - und nicht wegen. Also klar, ein paar Vorteile gibt es: Es hat ein wirklich zauberhaft klares Mixing, manchmal gibt es einem Song eine kleine Welle Euphorie mit, wechselt die Tonart. Und natürlich ist das alles fundamental schön gespielt. Aber der wahre Kern, der die Platte von bisherigen Luna Li-Projekten unterscheidet, ist definitiv ein emotionaler.
Immer wieder gibt es Momente, die sich der Easy Listening-Logik ein bisschen widersetzen. Man könnte nach dem ersten Hördurchgang gar fast auf den Trichter kommen, man habe es hier mit einem Sample-lastigen Projekt zu tun, denn die Texturen und Sounds der Tracks unterscheiden sich grundsätzlich. Ein bisschen Portishead, ein bisschen Neo-Soul. Und trotzdem entsteht ein ziemlich kohärenter Höreindruck.
Das liegt vor allem an Protagonistin Hannah, die in der halben Stunde eine Story von den Folgen eines Break-Ups erzählt. Auf der Strecke vom "Confusion Song" bis hin zu "Fear Is An Illusion!" tun sich aber Irrwege auf. Die Trennung fiel nämlich mit einem Umzug zusammen - und der Umzug damit, rapide sehr viele neue Menschen und neue Flammen kennen und lieben und vermissen zu lernen.
Die besten Songs tragen diese Unstetigkeit in sich: "Minnie Says (Would You Be My)" ist eine zauberhafte Prise Heimweh, und ja, gut, zugegeben: Das Flötensolo rippt mit dem Satansschuh. Ihre Vocal-Harmonien, die sich immer höher gen Traumreich schrauben, wenn sie ihr Gegenüber um ein Schlaflied bittet, sind auch sehr schön. Vielleicht liegt es doch an der Hochschule, dass man es hier mit einer beeindruckend gestandenen Musikerin zu tun hat.
Luna Li bringt ihn übrigens öfter, diesen stillen Kontrast zwischen Text und einem Framing voller Anxiety, der sich in den ruhigen, Dreampop-Tracks aber dann doch nur in Nuancen entlädt. Alles klingt irgendwie symphonisch und unaufdringlich proggy, was dem Album viel Tiefenschärfe verleiht. Derlei Ornamente helfen aber nur, wenn der Song im Kern gut ist. Und gute Songs besitzt dieses Album eine Menge: "Golden Hour" erinnert an den Country-Namenszwilling von Kacey Musgraves durch ein beeindruckendes Gefühl für räumliche Immersion. Luna Li hat ein derart lauschiges Händchen fürs Psychedelische, man möchte in diesen Kalaidoskopen Nickerchen machen und den Wecker noch zehn Mal klingen lassen.
"That's Life" dreht das Tempo ein bisschen höher, der Groove sagt Classic-Rock, aber die klangliche Ausschmückung macht es doch wieder unterschwellig trippy. Wenn die halbe Stunde dann schließlich mit "Bon Voyage" endet, baut sich noch mal ein so orchestrales, emotionales Finale auf, das man mit dem Gefühl aussteigt, da gerade etwas viel Flächigeres und Größeres gehört zu haben.
"If A Thought Grows Wings" ist ein interessantes Album, weil es so viele Fehler vermeidet, die andere in derselben Position gerne machen. Es versteckt sich nicht hinter dem eigenen Talent, vermeidet die Angeberei und kreiert Grooves und Soundwelten, die die Virtuosität nur in kleinen Dosen spüren lassen. Was besonders auffällt, ist tatsächlich Dramaturgie, eine Spannungskurve: Von der Desorientierung bis hin zum Stehen auf eigenen Beinen, mit Anleihen aus verschiedenen Genres und schließlich doch sehr kohärent erzählt. Luna Li ist unaufdringliche Tagträumer-Musik. Aber nur, weil man sich hier wunderbar treiben lassen kann, hat es es nicht weniger in sich!
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