laut.de-Kritik
Madelines linker Haken.
Review von Josephine Maria BayerWer zum ersten Mal von seinen Eltern wegzieht, steht vor der Herausforderung, das Wort 'Zuhause' neu zu definieren. Ist es eine WG, in die man gezogen ist? Die Stadt, in der man studiert? Für viele junge Menschen bleibt die Homebase trotzdem das Elternhaus, zumindest noch für eine Weile.
Der titelgebende Song "Nur Zu Besuch" aus Madeline Junos sechstem Studioalbum handelt von jener schwermütigen Erkenntnis, dass 'Zuhause' auf einmal eine neue Bedeutung hat. Das Fortziehen und Loslassen ist auch das übergreifende Thema dieser Pop-Platte. Und Erwachsenwerden kann ganz schön wehtun.
Die 28-Jährige singt vom Streben nach Unabhängigkeit, Identitätssuche, Stress mit der Familie und dem Zerbröseln von Illusionen - besonders in der Liebe. Der Opener "Sad Girl Shit" gibt den Ton an. Madeline wirkt durchweg wie das besungene Sad Girl. Alles ist irgendwie scheiße, ganz besonders Männer. Mit denen hat sie so manches Huhn zu rupfen.
Es hagelt Anschuldigungen: "Warst du an mir interessiert oder hast du nur wen gebraucht, der nachts dein Ego massiert? Glaube, du suchst keine, die dich aufrichtig liebt. Scheißegal, solange sie kniet". Juno hat einen vernichtenden linken Lyrik-Haken. Dieser kommt seit der Abkehr von englischen Texten immer öfter zum Einsatz. Der angelsächsische Einfluss ist jedoch nicht vollständig verschwunden, Madeline spricht fließend Denglisch: "Ich glaub, das bist du. It's sad but it's true".
Nur ab und an schimmern auch Selbstzweifel durch die doch etwas selbstgerechten Herzschmerz-Jammertiraden. Für einige Momente hält Juno inne und stellt die vorsichtige Frage: Vielleicht sind gar nicht immer die anderen Schuld? Vielleicht ist sie selbst der gemeinsame Nenner hinter den toxischen Beziehungen, die ihr immer wieder das Herz brechen: "Diese Version von mir ist alles, was ich nicht sein will.
Doch die rosarote Brille hat Juno nicht verlegt: "Was Weiß Ich Schon", "Was Zu Verlieren" und "Versprich Mir Du Gehst" handeln vom Liebesglück. Letzterer trieft dank Duettpartner 1986zig vor Kitsch über: "Babygirl, ich versprech' dir gar nichts. Weil ich noch nicht ma' funktionier, wenn du nicht da bist."
"Nur Zu Besuch" bietet astreinen, energetischen Radio-Pop, an der Produktion ist nicht das Geringste auszusetzen. Doch außer der Hook von "Gewissenlos" bleibt kein Song so richtig im Ohr. Zehn Jahre nach ihrem Debütalbum "Unknown" demonstriert Juno einmal mehr, dass sie Pop verstanden hat. Genre-untypisch überrascht die Sängerin mit scharfzüngigen Texten, die sich sonst eher im Hip Hop verorten lassen. Beste Voraussetzungen also, um aus der monotonen Deutschpop-Landschaft herauszustechen. Für einen Nummer eins-Hit hat es bislang zwar noch nicht gereicht, aber Madeline bleibt hartnäckig.
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