laut.de-Kritik

Willkommen im Anti-Wunderland.

Review von

Ein neunjähriges Kind schreibt mit klappernder Schreibmaschine seinen Abschiedsbrief: Seine Abrechnung mit einer Welt, in der schon die Jüngsten nahezu alle Hoffnung fahren ließen, landet, wie passend, auf der Rückseite einer Rechnung.

Maeckes entführt mit "KIDS" in eine Traumwelt, ein weitgehend freudloses Anti-Wunderland, dessen endloses Grauen sich insbesondere daraus speist, dass zwischen der Realität und den kunstvoll in Wort und Ton aufgezogenen Szenarien nur ein winziger Gedankenschritt vollzogen werden muss.

Eine "absurde Welt" wollte der Stuttgarter Rapper erschaffen, und doch: Die frühreifen Kinder und infantilen Erwachsenen seiner Phantasien erscheinen als so abwegig nicht. Erschreckenderweise fällt es überhaupt nicht schwer, sich ein um "4 Uhr Nachts" auf dem Spielplatz am Feuer seiner Sehnsüchte hockendes Kind vorzustellen.

Ohne Frage liegen Maeckes' Texten scharfe Beobachtungen zugrunde. Die Intensität der teils absurden Bilder, deren er sich bedient, um einer im "Würgegriff Des Glücks" röchelnden Gesellschaft schonungslos den Spiegel vorzuhalten: kaum auszuhalten.

Die Suche nach Zuflucht in einer Welt, die das Staunen verlernt hat, in der Farben in Öllachen ein trauriges Dasein fristen, Seifenblasen in der Fabrik hergestellt werden, Computer ein Eigenleben führen und Zukunftsträume nichts als Trailer für das Kommende darstellen, gerät beinahe zum Reflex.

"Architektur ist gefrorene Musik. Also tauen wir die Musik auf und kauern uns darin vor den Kamin." Die musikalische Umsetzung dessen, was Maeckes als sein "erstes und zugleich letztes großes kritisches Werk" ankündigte, liegt hauptsächlich in der Verantwortung des Produzententeams Beat Em Up. Teils legte Maeckes auch selbst Hand an.

Düstere Synthiesounds illustrieren die Geschichten aus dem verschobenen Alltag. Klug platzierte Details peppen diese immer wieder stimmungsvoll auf. So stehen eine Akustikgitarre, klimperndes Piano und ein ganzer Kinderchor auf dem "Heimweg" Spalier. Hallende Bässe lassen "Von Logen Herab" den Atem des Asphalts ertönen.

"Das Letzte Mal", geradezu eine Mahnwache für zu oft zu wenig gewürdigte positive Kleinigkeiten, zieht seinen warmen Klang aus der Klavierbegleitung. Unter dem "Graustufenregenbogen" erklingt ein verwehtes Saxophon.

Nahezu nebenbei wirft Maeckes mit philosophischen Erkenntnissen um sich. "Ich kann tote Menschen riechen, aber auch lebendige, iiieh!" "Uhren sind Huren, die wir mit unserer Jugend bezahlen." "Vielleicht gehen wir schlicht zugrunde, weil sich im 21. Jahrhundert einfach keiner mehr wundert."

Gegenstrategie: "Kindisch ist das neue Cool, also "Let's get kindisch!" Möglicherweise haben wir so noch eine Chance, der Tristesse zu entgehen und die Wahrheitsfindung auch ohne die drastischen Maßnahmen aus "Betrunkene Kinder" voran zu treiben:

"Man sagt, ein Betrunkener sagt die Wahrheit, und ein Kind. Also kidnappe ich ein Kind und mix' ihm 'nen Drink. Näher werden wir der Wahrheit nie kommen ... Ich will die Wahrheit, es gibt keine Milch - zumindest nicht pur."

Geschichtenerzählerisch gelingt mit "KIDS" ein ganz großer Wurf, der seinen raptechnischen Höhepunkt in "U Can Do It", einer Kollaboration mit Saul Williams findet: Maeckes bürstet hier jede Chronologie gegen den Strich. In wüster Folge rappen Ausgaben seiner selbst in verschiedensten Altersstufen durcheinander und zeigen die Entwicklung eines nicht zu unterschätzenden MCs.

Der einzige Nachteil: Am Stück lässt sich das Album nur schwer ertragen. Obwohl sich zu später Stunde auch die restlichen Orsons auf dem Spielplatz versammeln und in bester Jan Delay-Manier das Ihre dazu beitragen, das Feuer nur ja nicht verlöschen zu lassen. Denn mancher unkaputtbaren Seifenblase zum Trotz bleibt die Trübsal von "KIDS" ein zäher, ein schwer verdaulicher Brocken.

Trackliste

  1. 1. Grinsende Gleichgültigkeit
  2. 2. Graustufenregenbogen
  3. 3. Würgegriff Des Glücks
  4. 4. Seifenblasen Platzen Nie
  5. 5. Kindisch Wie Du
  6. 6. Betrunkene Kinder
  7. 7. Heimweg
  8. 8. Von Logen Herab
  9. 9. 4 Uhr Nachts
  10. 10. Ein Computer Hat Schluckauf
  11. 11. U Can Do It feat. Saul Williams
  12. 12. Das Letzte Mal
  13. 13. Idioten
  14. 14. Piratenlied feat. Mia

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