laut.de-Kritik
Vom DIY-Teenie zum Major-Act, der noch seinen Stil sucht.
Review von Philipp KauseDer Innovationsgrad dieser Musik mag aufs erste Hören gering sein. Doch die von Pharrell Williams geförderte Folkerin Maggie Rogers bietet trotzdem etwas Eigenständiges, nur ganz rund und gereift klingt es noch nicht. Sie singt Folk-Rock-Americana mit der dreckigen Unschärfe von schiefem und verzerrtem Hyperpop und gleichzeitig New Wave-Elementen.
"Don't Forget Me" ist eigentlich eine sehr durchschnittliche Platte. Es gibt kaum Highlights, eine einzige hymnische Hook ("On & On & On"), wenig Einprägsames, viel Begleit-Sound, alles, was im Café nicht stört, beim Bügeln aber schon wieder zu farblos nebenher plätschert. Versteht man kein Englisch oder achtet nicht drauf, spricht die Musik überhaupt nicht für sich. Manche Stücke wie "If Now Was Then" sind technisch nicht allzu effektiv abgemischt, kippeln zu oft in bassarmes Geschrammel in Höhenlage, während die Komposition zwischen harmonisch und dissonant unentschlossen wackelt und der Gesang aufgesetzt Country-unsauber wirkt. Reiner und klarer erlebt man Maggie etwa in den Acoustic-Performances für die BBC, wo ein Stück wie "The Kill" auf einmal elegant und intensiv rüber kommt.
Von einer atemlosen Shania Twain-Billigkopie wie "Never Going Home" auf der Studioscheibe darf man getrost Abstand nehmen, ohne ein Country-Kunstwerk zu verkennen. Es findet sich also vieles, was man handwerklich hätte besser machen können, und genügend Füllstoff, den man nicht vermissen würde, wäre er nicht auf dem Album.
Maggie beweist aber auch, dass es sich mitunter lohnt, schwach startende Platten zu Ende zu hören, vor allem, wenn man mit guten Kopfhörern ran geht. Die Klavierballade "I Still Do" führt Maggie in etliche Stilmittel ihrer Gesangsdarbietung, fortepiano, also abrupt laut und sofort wieder leise, glissando, also - statt von einem Ton zum nächsten - kontinuierlich gleitend, und auch in Kopfstimme und Falsett übt sie sich. Die schlichte, auf lang gehaltenen Tönen insistierende Unplugged-Ballade "All The Same" packt in ihrer Unmittelbarkeit den Musikfan sofort, wenn er emotionalen Vorträgen eine Chance gibt. Die Harmonieverläufe sind mal wenig vorhersehbar, das tut gut.
Das kompakte und sympathisch vertraut wirkende "On & On & On" beamt uns im positiven Sinne zurück zu Natalie Imbruglia. Es ist ein Selbstreflexions-Song über eine gescheiterte Beziehung, im Rückblick ein Jahr nach dem Aus. Während die Protagonistin mit der Entschlossenheit einer Alternative Rock-Lady vom Schlage einer Meredith Brooks eigene Fehler einräumt, attackiert sie aber auch den Ex und lässt ihren Zorn raus: "It'll be coming back to bite you like a dog / You know you better run for cover". Guter Moment!
Der marktschreierische Touch, der dann aber sogar in einem ruhigen Song wie "Don't Forget Me" übertrieben 'Drama' kreischt, treibt mich dann doch zurück zu vergessenen Alben wie Charlene Soraias letztem (2019) oder zu einer Stimme wie Julia Michaels, die ich persönlich mehr fühlen kann.
In einem Portugiesisch-Deutsch-Lexikon fand ich mal den Begriff 'americanidade', übersetzt mit 'Überspanntheit'. Das trifft auf Maggie glasklar zu, da schwingt eine US-Hysterie mit, die im Understatement des UK-Folk und Britpop oder in der Eleganz des französischen Chansonpop keinen Platz fände und für deutsche Ohren ein wenig schrill wirkt. Es liegt mehr an den Performances, in die Kacey Musgraves' Produzent seine Handschrift mischte, als an den Songs.
Nette Ansätze hat "Don't Forget Me" trotzdem einige. Und die Anspieltipps "On & On & On", "I Still Do" und "All The Same" könnten getrennt von der LP in Playlists mit sensibler Musik gut überleben. Der Tonträger als Ganzes sei zumindest Leuten empfohlen, die sich geduldig ein ganzes Alice Phoebe Lou-Konzert reinziehen, ohne kribbelig zu werden.
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