laut.de-Kritik

Bob Marleys Sängerin covert die Klassiker des Reggae.

Review von

Reggae beginnt seine Existenz mit Querverweis. Etliche berühmte Songs damals wie heute im Reggae recyceln Soul Classics. Wie fundamental das Saxofon, das Instrument von Jazz- und Soul, vom ersten Moment an Reggae-Musik stützte, zeigt Marcia Griffiths Version "True Believer" des alten Schinkens "True Believer In Love" auf ihrem Cover-Album "Timeless". Einheimisch, Jamaican homebrew, lehnt es sich gleichwohl stark an die Hit-Fabrikate aus Detroit an.

Doch 60er-Soul oder gar Motown-Sound garantiert noch keine Qualität. Ein hochkarätiges Motown-Songwriter-Team schrieb einst etwa "Once Upon A Time", bevor es die frühen Reggae-/Rocksteady-Acts adaptierten. Nach süßer Soul-Konfektionsware klingt das dann auch. Auftrags-Songwriting bringt mitunter Kitsch hervor. Kitsch immer wieder zu covern, ist belanglos. Wozu also braucht es diese Platte, wenn es nichts Neues zu erzählen gibt?

Studio One heißt der Sehnsuchtsort, an dem der jamaikanische Stil ganz zu Beginn zu seiner wahren Form gerann. Die Klassiker dieses karibischen Produktions-Schauplatzes, der für Moderne inmitten von Armut steht, zeichnen sich meist durch die Handschrift von Leuten wie Clement 'Coxsone' Dodd aus. Zurück also zu den Pionieren! Auch wenn das Studio One heute im Rückblick als heilige Stätte hingestellt wird, entstand etwa der 'Geburtssong' des Reggae mit der Drum/Bass-Grundierung, dem schleppenden Rhythmus und dem Wort 'Regay', "Do The Reggay" von Toots & The Maytals beim konkurrierenden Label Beverly's, in den Plattenstudios einer Eisdiele.

Im "Ska Medley (feat. Toots & The Maytals)" kommt deren Sänger Toots Hibbert mit der aktuellen Formation seiner Maytals der allzu vorsichtigen Marcia zu Hilfe. Hier finden sie zusammen das passende Format, spritzig und emotional zu spielen. Diese ineinander fließenden Songs, geschmackvoll kombiniert, kristallisieren sich als Höhepunkt der Platte heraus. Das Medley vereint essentielle Momente aus dem Repertoire des Reggae-Vorläufers Ska. Genau dieses Antippen von Stücken und eine Idee von Sixties-Flair aufzuzeigen, hätte bei einigen anderen Nummern auch völlig ausgereicht.

In etlichen Songs agieren die Beteiligten nämlich allzu brav. So, als hätten die Musiker zu viel Respekt: Das "Studio One" und Coxsone Dodd zählen zu den Quasi-Gottheiten in der jamaikanischen Musik, die niemand infrage stellen darf. Entsprechend abgezählt treten Songs wie "Once Upon A Time" und "My Guiding Star" hier zutage.

Verblüffend, dass der Überschwang von Marcias Konzerten, wie sie diese heute noch gestaltet, hier so gänzlich fehlt. "Timeless" wirkt wie ein Klassenvorspiel am musischen Gymnasium. "Ja, ich habe geübt", beweist Marcia mit Blick auf den Lehrer. Eine 'Eins' würde sie nicht ergattern.

Denn ihre eigene Haltung, Interpretation oder Prägung fehlt. Dabei müsste sie nicht gewagt interpretieren, nur: sich überhaupt die Stücke zu eigen machen. Das Verdienst dieser Platte beruht darin, die alten Stücke ins Jetzt zu holen, ohne sie krampfhaft zu verändern. Zugleich legen Sängerin, Band und Produzent dabei hohe Professionalität an den Tag. Die Sounds wirken warm, die Bläsersätze sind akkurate Punktlandungen.

Gelungen ist etwa das Cover sonst schon leicht abgenutzten "Rock Steady". Dieses programmatische Lied über den Rocksteady-Tanz wurzelt im Doo Wop-Soul und findet sich folgerichtig bei Alton Ellis, einem begnadeten Souler Jamaikas, der das Stück co-komponierte. Marcia interpretiert den Song mit warmem Timbre in der Stimme. Die Background-Gesänge sind gut platziert, das Schlagzeug hüpft locker, und der Klassiker muss auf seine Bläser nicht verzichten, genießt aber einen neuen Anstrich.

Erst das Duett mit dem jamaikanischen Newcomer Zagga, "Your Love (feat. Zagga)", mit stimmlicher Abwechslung und einer quietschenden Orgel, reißt dann wirklich mit. Dass Marcia "I'm The Toughest" aus Peter Toshs düster-dubbigem "Bush Doctor" zu einem mittelschnellen scheinbaren Liebeslied aufmotzt, passt dann schon wieder nicht mehr. Marcia tritt zwar heute gelegentlich mit Toshs Sohn Andrew auf der Bühne, um Peter Tosh-Klassiker aufzuführen. Diese Coverversion hier klingt jedoch erzwungen.

Die eigentliche Entdeckung ist "Home". Ken Boothe komponierte 1967 dieses edle und doch verschütt gegangene Stück Soul. Jetzt liegt es erstmals in einer digitalen Aufnahme vor, die nicht eiert, und zudem in einer zutiefst sensibel gesungenen Fassung.

Aus den Tiefen des Abyssinians-Archivs zaubert Marcia mit "Declaration Of Rights" immerhin wenigstens einen politischen Track hervor, auch das Schlüsselstück von "Timeless". Mit 50 Jahren Reggae verknotet sich äußerst eng die Loslösung der Karibikinsel Jamaika von der britischen Krone. Das ernste Lied fügt sich 1970 als karibischer Beitrag in den Soundtrack der US-Bürgerrechtsbewegung: "Fussing and fighting, among ourselves / Nothing to achieve this way, it's worser than hell, I say / Get up and fight for your rights (...) / Took us away from civilization / Brought us to slave in this big plantation."

Der Song ermahnt dazu, sich nicht entlang von Partikularinteressen spalten und zum Streit untereinander anstiften zu lassen, wenn alle 'Versklavten' doch zusammen stärker für ihre Rechte einstehen könnten. Die übereinander geschichteten Background-Stimmen werten den Song enorm auf, wobei Marcia ihn auch sehr bewusst vorträgt.

Wie es Marcia Griffiths und ihrem Team gelang, doch so eine entschleunigte, besonnene und altbackene Platte herzustellen ohne den soundtechnischen Verführungen von 2019 zu erliegen, das verdient hingegen Staunen und Bewunderung. "Timeless" verwechselt aber mitunter 'altbacken' mit 'zeitlos'.

Trackliste

  1. 1. What Kind Of World
  2. 2. Once Upon A Time
  3. 3. Baby Be True
  4. 4. True Believer
  5. 5. Love Me Forever
  6. 6. Love Is A Treasure
  7. 7. Your Love (feat. Zagga)
  8. 8. I'm The Toughest
  9. 9. Ska Medley (feat. Toots & The Maytals)
  10. 10. Rock Steady + This Old Man
  11. 11. Home
  12. 12. My Guiding Star
  13. 13. Declaration Of Rights
  14. 14. Cry Me A River
  15. 15. Stranger In Love

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