laut.de-Kritik
Marianne und PJ Harvey - was für eine Allianz!
Review von Michael SchuhJohnny Cash musste auf Rick Rubin treffen, Kylie Minogue auf Nick Cave, und Marianne Faithfull gleich auf PJ Harvey und Nick Cave zusammen. Meine Güte, was für eine Allianz. Und sie hält, was sie verspricht: Die Frau mit der beeindruckendsten Stimme seit Nico legt mit "Before The Poison" ein Album voll horizontverdunkelnder und spaßverdrossener Songs vor, allesamt geflossen aus ihrer Feder und der der schwermütigen Dreifaltigkeit Harvey/Cave/Albarn.
Letzterer, der schon auf Faithfulls Vorgänger komponieren durfte, ist zwar nur einmal vertreten, sein "Last Song" macht dem Songtitel aber alle Ehre, und ist so weit von Blur entfernt, wie Kylie von Marianne. Düster, elegisch und unheilvoll breitet sich der rubinrote Soundteppich für die neue Queen of Darkness aus, auf dem diese gewohnt rauh und knarzend voran schreitet. Sobald sich im zweiten Refrain die einsetzenden Streicher über die mitreißenden Pianoakkorde legen, macht sich gar ähnlich erstickende Trauer breit, wie sie Johnny Cash in "Hurt" zu vermitteln wusste, und alleine die Vorstellung, Faithfull hätte mit dem Man In Black vor dessen Tod noch ein Duett eingespielt, lässt einen frösteln. Zwei Stimmen für die Ewigkeit.
Dass Marianne Faithfull die elektronischen Experimente von "Kissin Time" ad acta gelegt hat, prophezeit schon das vor Erhabenheit strotzende, in ockerbeige gehaltene Cover, das glatt einem Gemälde der Rokoko-Zeit entstammen könnte. Die Songs sind nicht minder stilvoll: Ähnlich der französischen Legende Juliette Gréco, die als Muse der Existenzialisten gilt, schwimmt auch Faithfull im tiefen Strom molllastiger Melancholie, und erreicht dabei mitunter gedanklich das linke Seine-Ufer, etwa wenn sich ihre Stimme an den alten Gegensatzpaaren Liebe und Tod, an Gut und Böse reibt.
"I have no time for hate or love, hey child, you're so full of woe" stellt sie im berührenden "No Child Of Mine", einem Duett mit Harvey, fest. Doch auch Faithfull bleibt eine Suchende, die das Geheimnis der Liebe nicht entschlüsseln kann, sich im Titeltrack gar die Giftspritze setzt, um das sich anschließende Gefühl zu beschreiben.
Die Songs selbst stehen den Texten an Dramatik in nichts nach, leben von der Reduktion instrumenteller Mittel und der damit einher gehenden Konzentration auf die Essenz, das Skelett. Die von Cave geschriebene Pianoballade "There Is A Ghost" gehört sicher zu den bewegendsten Songs, die die Grand Dame je eingesungen hat. Erfrischender als im Frauen-Doppel "My Friends Have" mit PJ hat man sie nie zuvor rocken gehört. Und selbst der anfänglich wirr erscheinende, laute Cave-Rocker "Desperanto", den Faithfull mit Sprechgesang veredelt, fügt sich nach und nach dem Gesamtbild. Ein gewaltiges Album.
Noch keine Kommentare