laut.de-Kritik
14 Höhepunkte aus 14 Jahren Montreux-Konzerten.
Review von Michael SchuhIm Frühjahr 2020 erkrankte Marianne Faithfull an Covid-19 und kam auf die Intensivstation. "Niemand rechnete damit, dass sie die Krankheit überleben würde", erzählte uns ihr langjähriger Musikgefährte Warren Ellis, "ich habe für sie gebetet". Zur Überraschung aller Freund*innen und Familienangehörigen verbesserte sich ihr Zustand nach zwei Wochen und Faithfull durfte wieder nach Hause. Dort entstand direkt im Anschluss ihr aktuelles Gedichtealbum "She Walks In Beauty". Der Gedanke, die an Atemproblemen leidende 74-Jährige noch einmal auf der Bühne zu erleben, dürfte jedoch ein Wunschtraum bleiben.
Hier knüpft nun "The Montreux Years" an, eine Zusammenstellung von Songs aus all ihren fünf Montreux-Auftritten der Jahre 1995, 1999, 2002, 2005 und 2009. Die Platte fungiert als eine Art Best-Of, mit Ausnahme ihres frühen Hits "As Tears Go By" sind wohl ihre essentiellsten Songs in der Tracklist. Auf eine chronologische Anordnung der Lieder wurde zugunsten der Atmosphäre verzichtet, eine gute Entscheidung, zumal das rauchige Organ der Chanteuse in ihren 50ern und 60ern nur unwesentlich tiefer wurde.
Mit "Madame George" von Van Morrisons "Astral Weeks"-Album nimmt sie sich 1995 einen Rock-Klassiker vor, den sie mit ihrem zwischen Gesang und gesprochenem Wort changierenden Stil und einer hervorragenden Live-Band problemlos an sich reißt. Ebenfalls von ihrem Montreux-Debüt ist das ätherische, weniger bekannte "She" von ihrem damaligen Album "A Secret Life", das in Kooperation mit Twin Peaks-Produzent Angelo Badalamenti entstanden ist, sowie "Why D'Ya Do It" von ihrem 1979er Album-Meilenstein "Broken English".
Der Song fungiert mit seiner mitreißenden Dynamik samt Cowbell-Furor zu Recht als kraftvoller Rausschmeißer auf dem Album. Im direkten Gegensatz fällt das ähnlich rockige "Broken English" aufgrund zu vieler Soli etwas ab. Gleichwohl ist es - gerade im Vergleich zu ihren ruhigen Vorträgen der letzten beiden Studioalben - beeindruckend, mit welcher Kraft die damals immerhin schon 62-Jährige den Refrain "Broken English" ins Schweizer Publikum schreit.
Einziger Wermutstropfen ist, dass sich kein Song ihres großartigen Albums "Before The Poison", für das sie 2004 mit Nick Cave und PJ Harvey kollaborierte. Von der Tour zu diesem Album ist stattdessen das von Kathleen Brennan und Tom Waits für sie geschriebene "Strange Weather" dabei, sowie "Sister Morphine" - von den Stones 1971 ohne ihre Credits veröffentlicht, obwohl sie ihn zwei Jahre zuvor mit Jagger gemeinsam geschrieben hatte.
"The Montreux Years" fängt glücklicherweise auch Faithfulls Ansprachen ein, die sie ihrem Publikum auf Konzerten zukommen lässt. So erfährt man vor dem "Song For Nico", wie sehr sie Nico verehrte, obwohl sie sich nie getroffen hätten: "We had very little in common actually, except we were both chicks in the 60s". Das swingende "Come Stay With Me" wiederum sei die erste Liveaufführung seit 35 Jahren - sprich: seit 1964. Warum, wisse sie selbst nicht genau. "Times Square" belegt dann noch einmal, dass vor allem in den ruhigen Momenten ihre raspelnde Ausnahmestimme am besten zum Tragen kommt. Gegen Ende dieser schönen Platte bringt sie es mit den Worten von Leonard Cohen auf den Punkt: "I was born with the gift of a golden voice".
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