laut.de-Kritik

Die Briten beschwören Inbrunst und Leidenschaft.

Review von

Marillions Musik zielt eigentlich immer auf den größtmöglichen Effekt, mit gewaltigem Soundaufwand beschwören die Briten Inbrunst und Leidenschaft. Wenn nach gut sechs Minuten der Bass losstürmt und Steve Hogarth über den monoton-harmonischen Flächen von Gitarren und Keyboards mit fragiler Stimme singt, zeigt der Opener des neuen Albums "Marbles" denn auch gleich seine deutliche Nähe zu Tom Yorkes Radiohead, die ja auch zu gerne in den ganz großen Gefühlen rühren.

Drei Minuten dauert der 'Radiohead-Spuk' mitten in dem 14-Minuten-Song "The Invisible Man", der anfangs dank krasser Tempo- und Lautstärke - und Dynamik-Wechsel Genesis alle Ehre machen würde, später mit Steve Rotherys Gitarre die Dire Straits zitiert, und schließlich in einem enormen Crescendo der bislang genannten Stilistiken endet.

Solcher 'Progressive Rock' darf sich zwar allenfalls in Bezug auf die Tracklänge fortschrittlich nennen, ist aber aufwändig konstruiert und auch klanglich durchaus eindrucksvoll gestaltet. Auf den Monstertrack folgt eines von vier eher belanglosen Zwischenspielen: mit der verspielt und manchmal geheimnisvoll wirkenden Farbgebung echter Murmeln haben "Marbles I-IV" wenig gemein.

Auch die vorab ausgekoppelte Single "You're Gone", die in England allein schon aufgrund der Vorbestellungen die Top Ten erreichte, erinnert zwar wieder an Genesis (die Keyboards am Anfang!) bzw. U2 (Stimme und Beats), hat aber nach den vielleicht etwas ungewöhnlich tönenden Anfangstakten nicht viel Aufregendes mehr zu bieten. Immerhin kennen Marillion wenig Berührungsängste, sie scheuen sich nicht einmal, in einen vorwärts stürmenden Rocker wie "Drilling Holes" Cembalo-Klänge einzubauen.

Letztlich entscheidet sich die Qualität der einzelnen Songs aber daran, ob sie die großen Gefühle nur behaupten wie etwa "Fantastic Place": immer glatter und platter walzen Streicher- und Keyboard-Flächen die kleine Melodie, bis nur noch leeres Pathos übrig bleibt. Andere Stücke wie das gut 12-minütige "Neverland" haben, wenn schon keinen musikalischen, so doch wenigstens einen erzählerischen 'roten Faden', eine innere Notwendigkeit, ohne die alle Inbrunst eben doch nur Effekthascherei bleibt.

Trackliste

  1. 1. The Invisible Man
  2. 2. Marbles I
  3. 3. You're Gone
  4. 4. Angelina
  5. 5. Marbles II
  6. 6. Don't Hurt Yourself
  7. 7. Fantastic Place
  8. 8. Marbles III
  9. 9. Drilling Holes
  10. 10. Marbles IV
  11. 11. Neverland
  12. 12. You're Gone (Single Mix) (Bonus Track)

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163 Kommentare

  • Vor 20 Jahren

    Marillion haben die Musikgemeinde schon immer gespalten. Die einen schwören auf die Fish-Aera, andere lobpreisen die Werke mit Steve Hogarth, und wieder andere (wie ich zum Beispiel :D ) finden in beiden Bandgeschichten musikalische Perlen. Nebenbei bemerkt: Steve Hogarth ist mittlerweile länger bei Marillion als Fish es je war. Und nun ist also das neuste Werk (wiederum zum Grossteil von den Fans im voraus finanziert) erschienen; d.h. die Vorauszahler haben die limitierte Doppel-CD bereits erhalten, die "Normal-Zahler" müssen sich noch bis am 3. Mai gedulden. Dann wird sowohl die Doppel-CD als auch eine einfachere Version in den Läden stehen. Ueber die Unterschiede schreibe ich später noch was.

    Die Limited Edition ist übrigens sehr schön designt; im 128-seitigen Booklet (nö, Buch passt schon besser! :D ) sind die Songtexte, Thank-you's sowie alle Namen der Vorauszahler erwähnt. Das Ganze erinnert ein bisschen an Pink Floyd's "PULSE", aber ohne das blinkende Lämpchen! :D

    Nun aber ans Eingemachte: die Song-für-Song-Review. Los geht's!

    The Invisible Man

    Dieser Song ist wohl der Grund, warum man die erste CD auch "Brave – Revisited" nennen könnte. Die Stilwechsel hier waren typisch für Marillions 1994er Konzeptalbum, und doch ist der Invisible Man sehr eigenständig. Alle Bandmitglieder stellen hier schon ihr Können unter Beweis... und sie haben überhaupt nichts verlernt! Mit fast 14 Minuten Spielzeit ein schöner Einstieg und natürlich gefundenes Fressen für Lange-Song-Liebhaber wie mich! :smug:

    Marbles I

    Der erste von vier kurzen "Verbindungssongs"; Steve Hogarth sinniert darin über Kindheit und Murmelspiele... nichts Besonderes, aber auch nicht störend. Diese Zwischensongs geben dem ganzen Album einen leichten Konzept-Einschlag, was wohl auch beabsichtigt war.

    Genie

    Genie ist eine Ballade mit eingängigem Refrain, schönem Solo und ungewöhnlich ruhigem Gesang von Hogarth. Sehr eingängig... könnte eine Single werden. Radiotauglich ist der Song jedenfalls mit nur 4 ½ Minuten!

    Fantastic Place

    Fantastic Place ist ebenfalls ein sehr ruhiger und entspannter Song. Ein kleines, zerbrechliches Juwel, das vor allem durch den verletzlichen Gesang von Steve Hogarth besticht. Zum Schluss kommt dann aber doch die Kraft zurück, und man fühlt sich an besungenen Fantastic Place versetzt... nicht zuletzt dank dem wunderbaren Gitarrensolo von Steve Rothery!

    The Only Unforgivable Thing

    Die erste CD besticht durch die ruhigeren Passagen, und da bildet dieser Song keine Ausnahme. Zurücklehnen und entspannen ist angesagt. Dezent unterstützt Steve Rothery's Gitarre Hogarth's Gesang, und langsam baut sich auch hier eine Hymne auf. Rothery liefert dann erneut noch ein wunderschönes Solo ab, und wiederum entsteht ein kleines Meisterwerk... so gefällt's mir!

    Marbles II

    Murmelspiele, Teil 2. :)

    Ocean Cloud

    Nach dem ersten Hördurchgang mein erklärter Over-All-Liebling! Der Wechsel vom balladesken zum stürmischen Marillion-Song und zurück ist hier einfach wunderbar gelungen. Der Song erzählt die Geschichte von Don Allum, der als einziger Mensch den Atlantik in beiden Richtungen in einem Ruderboot überquert hat. Die Gefühlswelten, die man während so einer Reise wohl durchlebt, haben Marillion wirklich unübertrefflich eingefangen! Von Freude über Wut und Verzweiflung bis zu bitterer Angst wird man hier auf die Reise mitgenommen... meiner Meinung nach einer der besten Songs, die Marillion je geschrieben haben (inklusive der Fish-Aera!), und ausserdem ein genialer Abschluss der ersten CD. 17 Minuten Marillion vom Feinsten!

    CD 2

    Marbles III

    Ein sanfter Einstieg in die rockigere Seite.

    The Damage

    Ein ziemlich cooler Song… Hogarth spielt hier mit seiner Stimme, und im ersten Moment tönt's schräg, gefällt danach aber sehr. Irgendwie passt es total zum Song. Der Refrain kracht, es wird zwischen relaxten Drums und schrammelnden Gitarren hin- und hergewechselt, und diese Mischung macht diesen Song zu etwas Besonderem. Textlich verbindet sich The Damage mit Genie von der ersten CD, aber wie bereits erwähnt, werden auf der zweiten CD schnellere Töne angeschlagen.

    Don't Hurt Yourself

    Wohl der eingängiste Song, den Marillion in den letzten Jahren geschrieben haben. Die Uptempo-Nummer geht sofort ins Ohr, den Refrain summt man nach dem ersten Hören schon automatisch mit. Wiederum tolle Gitarren- und Synthie-Unterstützung. Wäre auch eine gute erste Single geworden!

    You're Gone

    Die erste Singleauskopplung (und übrigens die am meisten vorbestellte Single aller Zeiten bei HMV UK!) erinnert mich ein wenig an "This Is The 21st Century" vom letzten Album. Moderne Drumbeats, ein sanfter Synthieteppich und Rothery's Gitarre dezent von überall her. Bisschen U2, ein bisschen Simple Minds, aber immer eindeutig Marillion. Guter Entscheid für einen Single-Release!

    Angelina

    Ein sehr ruhiger Song, hat mich noch nicht so gepackt. Nach dem ersten Hören machte er mir einen etwas langweiligen Eindruck, aber ich kann mir vorstellen, dass der mit der Zeit besser wird. Sehr schönes Gitarrensolo! Kein wirklicher Ausfall... bin gespannt, wie sich der Song entwickelt.

    Drilling Holes

    Ein ziemlich abgespacetes Stück Musik, das uns hier serviert wird. Wilde Synthies (sogar mit Barock-Einlage!) von Mark Kelly, leicht verquere Gesangseinlagen von Mr. h, und Ian Mosley an den Drums darf sich hier voll austoben. Die Lyrics lassen schmunzeln (A girl came to help out in the kitchen, And by the evening, We found we were all washed up) und beschreiben die Zeiten, die man mit guten Freunden verbringt und die nie enden sollten (It was just one of those days, When the mind strays, One of those days, When everyone plays, One of those days, When everyone stays, And all of the dreaming goes on). Gefällt mir sehr gut.

    Marbles IV

    Murmeleien, letzter Teil.

    Neverland

    Zum Abschluss nochmal ein wunderschönes Epos. Mit der Peter-Pan-Geschichte als Hintergrund-Thema beginnt der Song eher ruhig, und nach zweieinhalb Minuten bohrt sich ein Gitarrensolo direkt ins Herz. Der Song mutiert zu einer Powerhymne; die Verzweiflung tönt aus jeder Silbe, die Hogarth singt. Rothery lässt seine Gitarre nochmal wehklagend erklingen, und der Song baut sich langsam zu seinem grossartigen Finale auf. Meisterlich!!! Wohl der berührendste Song auf dem Album und wiederum ein sehr schöner Abschluss der zweiten CD.

    Mein erster Eindruck des Albums ist sehr positiv. Man weiss ja nie richtig, was man von Marillion zu erwarten hat. Ob's eher in Richtung Glanzstück wie Brave oder doch eher Laues wie marillion.com geht. Mit Marbles wurden meine Erwartungen voll und ganz erfüllt. Die Marillos sind in Hochform, abwechslungsreich wie nie, spielfreudig und verspielt, emotionsgeladen und cool. Für mich jetzt schon eines der besten Alben in der Bandgeschichte (und ich hab's erst gestern bekommen! :D )

    Auf der erwähnten Einzel-CD werden übrigens Genie, The Only Unforgivable Thing, The Damage und Ocean Cloud fehlen... und schon nur wegen letzterem Song könnte ich nicht auf die Doppel-CD verzichten!

    Ich bin mal gespannt, wie die Fachpresse auf das Album reagieren wird. Was ich bis jetzt gelesen habe, tönte durchaus positiv. Bestimmt wird es auch wieder genügend Nörgler geben, die immer noch nicht kapiert haben, dass sich die Zeiten geändert haben. Egal, wie die Kritiken ausfallen werden; für mich sind Marillion immer noch eines der bestgehütetsten Geheimnisse der englischen Musikszene!

    Infos und Sound-Samples auf www.marillion.com/marbles

    (Geschafft! :sweat: ...und das, ohne auch nur einmal "Kayleigh" zu erwähnen! :D )

  • Vor 20 Jahren

    Ich kenne da auch einen, der sohn fanatischer Marillion-Fan ist wie du :D Natürlich hat er die CD auch schon u.s.w. . Ich dachte immer bisher er wäre der Einzigste :D
    Irgendwie muss ich leider zugeben *duck* das ich mit Marillion nicht so wirklich was anfangen kann. Ich finde die Musik irgendwie langweilig und fade von denen. Hört sich irgendwie alles gleich an *doppelduck*. Kann mich nicht wirklich dafür begeistern obwohl ich Artrock/Progressive oder wie man das nun nennt, eigentlich auch ganz gut finde. Bevorzuge aber eher meine Lieblingsband: Pink Floyd oder auch Porcupine Tree, die alten Platten von Genesis, Peter Gabriel und einige Platten von Yes.
    Übrigens: Ich finde auch die Soloplatten von Fish nicht wirklich besser... *wiederduck*
    Mitsicherheit befinden sich Marillion und auch Fish musikalisch auf einer sehr sehr hohen ebene aber ich kann mich irgendwie nicht wirklich mit ihrer Musik anfreunden. Selbst die ganz großen Werke wie Missplaced Childhood haben mir nicht wirklich gefallen.