laut.de-Kritik
Der Blues ist nicht tot, er wandert auf die Tanzfläche.
Review von Michael SchuhEs mögen acht Jahre seit seinem vorzüglichen Soloalbum "Bubblegum" vergangen sein, aufgefallen ist es wohl keinem. Zu viele andere Gesangskabinen brachte Mark Lanegan seither mit seinem Tieftongütesiegel zur Eruption, darunter jene von QOTSA, Gutter Twins, Soulsavers, UNKLE und Ex-Belle & Sebastian-Chanteuse Isobel Campbell.
Acht Jahre, in denen sich der Amerikaner praktisch ständig auf Reisen befand, im Austausch mit unterschiedlichsten Künstlern viel ausprobieren konnte und irgendwann vielleicht auch zu dem Entschluss gefunden hat, mehr von sich selbst preiszugeben. So dürfte das vielschichtige "Blues Funeral" trotz des programmatischen Titels einige Erwartungshaltungen seiner Psychedelic Rock-Fangefolgschaft zertrümmern.
Am meisten Angriffsfläche bietet das zentral platzierte Album-Highlight "Ode To Sad Disco": Sechseinhalb Minuten eisigste Synthie Pop-Melancholie, die, mit fröstelnd einsamer Twang-Gitarre kontrastiert, den vermeintlichen Tom Waits-Wiedergänger von einer ungeahnt spannenden Seite zeigen.
Inmitten der peitschenden Sequencerbeats dieses Standout-Tracks schimmert nicht nur Lanegans Faszination für atmosphärische Krautrock-Bands wie Cluster durch. Das Wissen um die instrumentale Vorlage "Sad Disco" des unbekannten Dänen Keli Hlodversson belegt auch, wie weit der 47-Jährige auf der Suche nach Inspiration inzwischen über den Tellerrand schaut.
Es verwundert kaum, dass ihm mit dem Multiinstrumentalisten Alain Johannes ein (weitgehend unbekannter) Sessionmusiker zur Seite stand, der schon zahlreiche Desert Rock-Meisterwerke in seinem Lebenslauf stehen hat und jüngst mit "Spark" ein ähnlich waidwundes Werk auf Josh Hommes Label veröffentlichte. Sein Händchen für Atmosphäre und Melodie zeigt sich exemplarisch im mantrahaften Abgang von "Leviathan".
Der dunkel flirrende "The Gravedigger's Song" hingegen war als Single-Vorbereitung gut gewählt, denn auch ihm liegt ein elektronisch verstärkter Bluesbeat zugrunde. "Bleeding Muddy Water" drosselt das Tempo fast auf Null, während Lanegan markerschütternd seine Liebe zum urtümlichen Blues zelebriert und dessen Standardvokabular benutzt ("Lord now the rain done come"/"Oh Baby don't it feel so bad"). Die Themen Verlust, Sünde und Erlösung ziehen sich nach wie vor stringent durch sein Werk.
Danach dreht das ungewohnt poppige "Gray Goes Black" geich wieder am Stimmungsrad, bevor Lanegans Gesang im Gospel "St. Louis Elegy" beinahe pastorale Züge annimmt. Wenngleich man aus der Kirchenkanzel eher nicht mit Zeilen wie "If tears were liquor / I'd have drunk myself sick" rechnen dürfte.
Schon hier erahnt man, dass Lanegan mehr denn je die Kraft aufbrachte, jeden Song inbrünstig glänzen zu lassen, was vielleicht den größten Unterschied zu seinen vorherigen Alben darstellt. Selbst die ordentlichen, an frühere Platten erinnernden "Quiver Syndrome" und "Leviathan", fallen beinahe hintenab aufgrund der intensiv-beseelten Wucht eines "Phantasmagoria Blues".
Im lautesten Song "Riot In My House" darf Bruder Josh Homme an die Leadgitarre, was ohne Booklet wohl niemandem aufgefallen wäre. Auch all die anderen Bekannten fügen sich nur der Vision des Meisters, Jack Irons an den Drums oder Dave Catching und Chris Goss an den Gitarren oder Greg Dulli am Gesang.
Die kristallklaren Gitarren in Kombination mit sanften Keyboards in "Harborview Hospital" sorgen gar für einen "Joshua Tree"-Moment, allerdings diesmal auf U2 bezogen.
"Blues Funeral" erinnert nicht nur aufgrund seiner elektronischen Herangehensweise entfernt an John Frusciantes "To Record Only Water For Ten Days": Es ist der Sound eines Rastlosen, der ständig neue Herausforderungen sucht, wie andere Kollegen das Rampenlicht. An diese Etappe seines Weges wird man sich jedoch sicher noch lange erinnern.
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