laut.de-Kritik
Todtraurig: Country und Folk als Medizin.
Review von Hannes WesselkämperIm schnelllebigen Musikgeschäft werden oft genug lediglich die Bedürfnisse einer Masse abgearbeitet, die zuvor von Majorlabels in die Köpfe gepflanzt wurden. Hypes werden kreiert, auf Facebook geshared, auf MTV gespielt, im Radio verwurstet – und vergessen. Jugendliche prostituieren ihre Werke auf MySpace und YouTube, nur um möglichst schnell entdeckt zu werden.
Gerne übersieht man da den Rest der Bandbreite an Möglichkeiten, die Musik in sich trägt. Beispielsweise schwören viele Menschen auf Musik als Medizin. Das soll nicht heißen, dass man sich was Trauriges von Unheilig anhört, um über eine verlorene Liebe hinwegzukommen.
Hier ist vielmehr die Rede vom kreativen Prozess des Musikschaffens zur Verarbeitung persönlicher Traumata. Und hier kommt Mary Gauthiers todtrauriges Konzeptalbum "The Foundling" ins Spiel.
Das sechste Album der 45-Jährigen handelt vom Verlassenwerden: Kurz nach der Geburt wurde sie von ihrer unverheirateten Mutter zur Adoption freigegeben und hat sie seitdem nie getroffen. Eine Mischung aus Country und Folk begleitet Gauthier bei ihrer Selbstfindung, die sich in analytischen und doch übermelancholischen Texten äußert.
"I got a heart that's ripped / I got a soul that's torn / I got a hole in me like I was never born", singt sie in "Blood Is Blood". Weitab von Trucker-Melancholie treibt sie ihre Lieder mit mal mehr, mal weniger folkigem Country ins Ohr. Steel Guitar und Fiddle gehören natürlich dazu, ebenso eine zart angeschlagene Akustikgitarre, eine pointiert eingesetzte E-Gitarre sowie seltener das Akkordeon.
Während der Titelsong einen schnell mit gehöriger Gänsehaut versorgt, flacht das Album in der Folge ab. Zu sehr aus einem Guss präsentieren sich die Songs, thematisch und musikalisch festgefahren. Eine der wenigen Ausnahmen bildet "Sideshow": Blechbläser und Zirkusmusik ergänzen die erdige Countrynummer, die Gauthiers Dasein als Nebenattraktion behandelt. "I'm the singer in a sideshow / it's a place where orphans go".
Mit "The Orphan King" und "Another Day Borrowed" zieht das Album zum Ende hin noch mal an. Die Tracks bilden den positiv(er) gefärbten Abschied aus einem traurigen Album. Männliche Vokalunterstützung oder die altgediente Wurlitzer Orgel lockern ebenfalls auf. So entlässt Mary Gauthier den Hörer mit einem Fünkchen Hoffnung. Das ist in keiner Weise inkonsequent, das ist mehr als nötig nach diesem Depri-Country-Trip.
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