laut.de-Kritik
Ein einlullendes Mobile mit hyper-idyllischen Vibraphon-Drones.
Review von Magnus HesseOb man die selbsternannte Speerspitze der Pop-Avantgarde um Nils Frahm und Olafur Arnalds tatsächlich in der Kategorie kontemporärer Klassik einordnen darf, darf zumindest kritisch betrachtet werden. Aber im Grunde ja auch Wortklauberei, könnte man meinen.
Das neue Gesicht der Künstlerschmiede Erased Tapes kommt aus Japan und spielt Vibraphon. Masayoshi Fujita lässt auf sein 2013er Album "Stories" mit "Apologues" ein zweites Instrumentalwerk folgen, das im Gegensatz zu seinen Kollaborationen mit Jan Jelinek oder seinem Ambient-Alter Ego El Fog rein auf analoge Sounds schwört.
Im Berliner Studio P5 fand sich ein kleines Ensemble, bestehend aus Tangerine Dream-Geiger Hoshiko Yamane, Cellist Arturo Martínez Steele, Perkussionist Masaya Hijikata (Snare Drum), Akkordeon-Spieler Motomitsu Mähara, Flöter Mio Suzuki, Hornist Tomonobu Odai und Klarinettist Yoko Ozawa ein. Sämtliche Stimmen arrangierte der in Berlin lebende Komponist eigens und verwob sie zu flächendeckenden Mustern.
Statt elektronischem Firlefanz pimpt der Künstler sein Instrument mit Metallstücken und Alufolie auf, um neue Facetten aufzudecken. In "Tears Of Unicorn" und "Knight And Spirit Of Lake" streichelt Fujita sein Vibraphon zudem mit Geigen- und Cellobögen. Perlenketten auf Metallplatten sorgen indes für ein zart mitschwingendes Flirren im Mittelgrund.
Mit postmoderner Experimentierwut oder polyphoner Disharmonie hat der Sound dieser Platte trotzdem so gar nichts gemein. Fast ohne rhythmischen Unterbau schweben die Texturen im freien Raum, was schnell dazu führt, dass die schummrigen Sounds zum Soundtrack eines Tagtraums werden.
Das ohnehin in der Klangfarbe verhaltene Vibraphon überlässt die Bühne ab und zu auch mal den Gast-Instrumenten, wie in "Swallow Flies High In The May Sky", in dem die Klarinette das Hauptmotiv übernimmt, bevor das Cello den Faden aufnimmt. Wie ein Kleinod, ein ferner Zufluchtsort enthebt sich dieses Album dann aus einer Welt emsiger, rastloser Menschenströme und intoniert das Verweilen.
Titel wie "Beautiful Shimmer" wecken dabei Erinnerungen an hypnotisch kreisende Mobiles, deren Geklimper Kleinkinder in den Schlaf murmelt. Und darin besteht wohl auch der einzige Vorwurf, den man Herrn Fujita machen kann. Der geschliffene Vibraphon-Ton wird kaum kontrastiert, und so trägt sich etwa in "Knight And Spirit Of Lake" eine träge "Drone" vor sich selbst her. Dann hat das Ganze etwas so Hyper-Idyllisches und Utopisch-Unschuldiges, dass es fast weltfremd wirkt. Dann begleiten sich Begleitstimmen gegenseitig und entziehen sich dem Zentrum der Songs, bis vor lauter Bäumen, der Wald nicht mehr zu sehen ist.
Das "Requiem" bricht letztlich allerdings noch einmal eine Lanze für die Melancholie und versinkt in einem repetitiven Thema, das mit seinem schrofferen Slowmotion-Gestus zu den besten Ideen des Japaners gehört und weniger rein resoniert, dafür um so mehr mitnimmt.
Masayoshis Musik lebt vom Abdriften in einen Überraum zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Und so sehr man bei so viel Anmut ins Träumen verfällt, so wenig Prägnanz hat "Apologues". Auf acht Tracks spielt Fujita die verschiedensten Formen des Einlullens durch - ein Sog, dem man sich mal genüsslich und mal unfreiwillig hingibt.
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