laut.de-Kritik
Ein Ritt auf der Rasierklinge.
Review von Jeremias Heppeler"Glücklich Mit Nichts" eröffnet das Album und steht sinnbildlich für die Stärken und Schwächen der neuen Max Prosa-Scheibe: Merkwürdig schroffe Texte treffen auf ölig angenehme Indiemelodien, die sich teilweise abstoßen wie besoffene Pärchen, um sich wenige Sekunden später wieder leidenschaftlich in den Armen zu liegen.
Prosa klingt jetzt poppiger. Und größer. Der fast schüchterne Folk der ersten beiden Alben offenbart sich zwar immer wieder, wird aber unsanft von aufgepumpten E-Gitarren und massentauglichen Melodien herum geschoben, deren Frisuren Backstage mit dem Glätteisen gebügelt wurden. "Keiner Kämpft Für Mehr" ist zwar meilenweit entfernt von den Bendzkos und Bouranis der Republik, aber absolut radiotauglich, was einen automatisch zusammen zucken lässt. Denn die deutsche Sprache, das zeigen mehrere Jahrzehnte Popgeschichte, erscheint aufgrund ihrer Metapherndichte als besonders anfällig für katastrophalen Kitsch. Und pappt dir ebendieser erstmal an den Hacken, dann bekommst du ihn schlechter los als Hundekacke, in die du gerade getreten bist.
Prosa reitet also auf der Rasierklinge – und ist sich dessen bewusst. Er suchte die Veränderung, den Mehrwert, hält aber dennoch über die komplette Albumlänge die Balance. Klar, er stolpert mal nach links, mal nach rechts und droht zum Ende sogar vornüber zu kippen, schafft es aber dann doch, sich aufzurichten. Punktuell entstehen dann ziemlich ambivalente Hymnen wie "Die Phantasie Wird Siegen", das den ein oder anderen Deutschpop-Fan sicher aus den Schuhen blasen dürfte.
Songs wie "Glauben An", "Lieber Freund" und "Alles Was Ich Seh" kreisen angenehm und unspektakulär vor sich hin, nur die ausufernden Chorelemente und aufgeblasenen Loopschichten, die sich oft dazwischen schleichen, hätte es nicht gebraucht. Teilweise klingen die Kompositionen so, als hätte sich Konstantin Wecker als Ghostwriter um die Strophen gekümmert und das Handwerkszeug dann an etwas angestaubte Indiebands wie Mando Diao abgegeben. Einen ziemlichen Schock verursacht "Der Boxer", auf dem Max Prosa plötzlich rappt und sich damit keinen richtigen Gefallen tut.
Prosas Texte sind nicht besonders komplex, nicht besonders groß oder klein, nicht besonders verkopft und nicht besonders poetisch. Sie sind eben da, einfach so. Und bringen bestimmte Dinge ziemlich zielgerichtet auf den Punkt. Ein Beispiel: "Du warst immer so angetan von dem blinden Sänger in der Bahn / ich fands ganz schön, aber mehr auch nicht / und jetzt seit du mir fehlst, berührt er mich / alles was ich seh, singt ein Lied von dir ..." Eine schöne Hommage jedenfalls an den Element Of Crime-Übersong "Am Ende Denk Ich Immer Nur An Dich".
Ein finales Urteil fällt schwer, zu oft wechseln sich gelungene Ideen mit abgedroschenen Melodien ab. Speziell die Mitte des Albums offenbart sich als ziemlicher Durchhänger. Die zentralen Flaggschiffe der Platte, "Auf Der Suche Nach Mehr" und "Keiner Kämpft Für Mehr", retten das Ding aber über die Ziellinie. In dieser Form kann Prosa gut und gerne mit den aktuellen Platten von Pohlmann und Poisel mithalten.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Den Durchhänger in der Mitte des Albums kann ich absolut bestätigen; traurig ist, daß der zumindest in Sachen Qualität gar nicht hätte sein müssen.
Ist mir immer noch ein Rätsel, warum ein paar eigentlich sehr schöne Stücke bzw. deutlich abgespeckte Versionen auf der Bonus-DVD und damit in dem filmischen Portrait über Max Prosa versteckt wurden. "Erinnerungen" fand ich richtig gut, wenn mich auch der Stil an Hisztory erinnert hat. Die Ich-und-mein-Eierschneider-Version von "Keiner kämpft für mehr" hatte ebenfalls ihren Charme.
Die drei Punkte stütze ich. Vier Punkte sind's, wenn man sich die Audiospur der DVD noch zurechtschnippelt und die zusätzlichen Titel in die Wertung einbezieht; daß Max Prosa in der Lage ist, seine Zuhörer zu fesseln, ist dort eher zu spüren als über die komplette Albendistanz.
Gruß
Skywise
Dem ist nichts hinzuzufügen. Danke!
Ungehört 1/5. Judith Holofernes in, naja, “männlich“. Musik für Bionade trinkende Sozialarbeiterinnen, die sich die Beine nicht rasieren.
Vorsicht mit dem Diesseits und dem Jenseits, Max! Genau wie Du es singst, schwankt auch Dein drittes Album zwischen der Brillanz der ersten Alben und der poppigen Versuchung des Mainstream, zwischen Diesseits und Jenseits.
Ich habe die ersten beiden Alben als wunderbare Perlen wahrgenommen. Nicht nur die lyrischen Texte, die irgendwie immer auch auf eigene Lebenssituationen und Erfahrungen passten, sondern auch die Zartheit der Musik, die sie perfekt unterstrich. Auch die etwas ruppigeren Vertreter darunter waren außergewöhnlich. Perfekt, das anklagende Chaossohn, das beim Durchhören immer wieder Gänsehaut erzeugen kann, wegen der Musik, wegen den Texten und vor allem wegen Max, der alles was er singt, wohl ganz genau so auch meint.
Dieses dritte Album driftet nun in eine Richtung, in die man schon so viele Musiker hat verschwinden sehen. Sie kamen fast ausnahmslos aus dieser Ecke nicht mehr zurück. Diesseits und Jenseits eben.
Und ich bin so sehr für Musikalische Weiterentwicklung. Ich liebe den Mut jener Bands, die sich immer wieder neu erfanden und sich dabei mindestens treu blieben oder gar immer mehr Tiefe in ihren Ausdruck zauberten (Radiohead, Steven Wilson, Arcade Fire, David Bowie,Sufjan Stevens, Motorpsycho und viele andere). Es diesen nachzumachen mag unglaublich schwer sein, vielleicht ist es ein unfairer Vergleich. Aber sie haben alle eins gemeinsam. Sie haben nicht mit dem Dritten Album im Mainstream-Pop-Wasser gefischt. Vielleicht weil sie alle wussten, dass es dort so flach ist, dass man mit dem Haken schlimmstenfalls hängen bleibt, für immer.
Max fischt jetzt dort, zumindest teilweise. Mal sehen, wohin das führt. Es bleibt spannend bis zum nächsten Album.
Bleibt am Ende eine Frage, frei nach "Mein Kind" vom ersten Album:
Die Geschichten Deiner Leute, dieser ganze tolle Mist,
Alle wollen Dir erzählen, was das besondere Leben ist!
Vorsicht mit Pop-Produzenten, die gefällige Beats und Chöre untermischen. Ich befürchte, sie gehören zu jener Sorte von Leuten! Vielleicht aber auch so Möchtegern-Kritiker wie ich, keine Ahnung. Ich hoffe, Max ist zu sehr Künstler, um auf Dauer zu gefällig zu werden!