laut.de-Kritik

Wie Pet Shop Boys und Trail Of Dead in einem Proberaum.

Review von

Was ist das denn bitte für ein Klotz, den uns die Dänen von Mew hier bescheren? Eine Stunde Musik ohne Pausen bzw. Geräuschkulisse, wie man nach dem ersten Durchgang meinen könnte. Erstaunt sein über Songs, die sich kaum voneinander abheben, irgendwie alle gleich klingen und nicht im geringsten hängen bleiben. Vielleicht doch lieber etwas anderes hören? Nein, dieses Album will erobert werden!

Der Waschzettel zitiert Sänger Jonas Bjerre mit den Worten, Mew hätten ein Album machen wollen, bei dem nach 200 Durchläufen noch Neues zu entdecken ist. Schwer vorstellbar. Bisher hält sich das Entdecken noch in Grenzen. "And The Glas Handed Kites" scheint zunächst wie ein fetter, unstrukturierter Klumpen - durchsetzt von stets ähnlichen, zuckersüßen Melodien.

Der Vorgänger "Frengers", war anders. Die Songs waren mehr Songs. Zwar fügten sie sich als Teil in ein stimmiges Ganzes, das Album hatte allerdings nicht den monumentalen Anspruch des neuen Werkes. Neuer Versuch. Da muss doch mehr drin sein. Ein Teil der Verwirrung kommt sicher von den zumeist nahtlosen Übergängen von Song zu Song.

Es ist schwer mitzukriegen, was da eigentlich passiert, wenn man der Musik nicht seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. "Apocalypso" lässt erstmals aufhorchen. Wenn Bjerre inbrünstig "Care-line, care-line thumped it up" schmettert, kann sich der Hörer dem kaum entziehen. Unsicheres Zurückspulen bei "The Zookeeper's Boy". Nach fünf oder sechs Durchgängen kristallisiert sich so etwas wie eine Ahnung von Struktur heraus. Mehr aber nicht.

"Circuitry Of The Wolf" erfüllt mit seinen Gitarren, die sich schließlich zu fetten Breitseiten auftürmen, die Rolle eines Intros. Bjerre setzt gegen Ende mit einer Art mehrstimmigem Ein-Mann-Chor ein. Erst leise, dann erhebt sich die Stimme aus dem Gitarrenriff und rückt nach vorn. "Chinaberry Tree" ist mehr Song im klassischen Sinne und schmeißt mit lieblichen Melodien um sich, was übrigens für die Platte typisch ist.

Das Outro und damit der Übergang zu "Why Are You Looking Grave?" klingt spacig - wie Gleiten in der Schwerelosigkeit. Auch der Refrain scheint sich der Gravitation zu entziehen. Auch hier wieder - süßer gehts nimmer. Doch kitschig klingts eigentlich nicht. Das passt zusammen.

"Special" wirkt wie ein Bruch. Hier werden die Achtziger ins Boot geladen. Der Beat scheint entspannt mit den Pet Shop Boys und Frankie Goes To Hollywood tanzen zu wollen. Aufdringlicher geht es in der nächsten Runde mit "The Zookeeper's Boy" weiter.

Zwischen den sich abstoßenden Polen "angewidert" und "bezaubert" stehend, nehme ich den Refrain zur Kenntnis, der aus allen Ecken nach dem "Go West"-Duo klingt. Vor allem wegen dieser unfassbaren Zweit- bis Zwölftstimmen gegen Ende. Das ist dann doch zu dick aufgetragen, hier gehört eine Scheibe Brot dazu.

"A Dark Design" macht angenehmer weiter, lässt den Trockeneisqualm abziehen und schaltet die Scheinwerfer mit den knalligen Farben erst einmal ab. "Saviours Of Jazz Ballet" erfüllt seine Rolle als Übergangsstück, enthält einen Teil seines Vorgängers und ein Stück des Nachfolgers. Irgendwo in der Mitte liegt eine Pause. In Worten: Pause. Die Trackanzeige springt nicht weiter. Na gut, was solls!

In der Folge ist der Zusammenhang weitgehend aufgehoben. Die Songs hören alle irgendwann auf, Pausen markieren traditionell den Übergang. Das Projekt "Wir machen ein Album, das im Prinzip aus nur einem Stück besteht" scheint gescheitert.

Der Gesang wirkte bis zu diesem Punkt auch stärker aufeinander abgestimmt, schien hier und da etwas aus früheren Teilen wieder aufzugreifen. Die restlichen Songs sind nun ausnahmslos gut und hörenswert, doch sie wirken angehängt, könnten auch in einer anderen Reihenfolge stehen. Ein Gefühl, das bei den ersten acht Tracks nicht aufkam.

Man merkt, es gibt auf diesem Album viel zu entdecken. Bis jetzt klingt es, als hätte man Keane, die Pet Shop Boys, Motorpsycho und sagen wir mal Trail Of Dead in einen Proberaum gesperrt, mit der Vorgabe eine Art Monumentaloper zu erschaffen.

Vielleicht relativiert sich die eine oder andere Feststellung noch bei den nächsten 185 Durchgängen. "And The Glass Handed Kites" ist voll von großen Popsongs, die sich langsam entblättern, die es sich und dem Hörer wahrlich nicht leicht machen.

Das Album ist vielschichtig und streitbar, gut und ausbaufähig zugleich. Wie eine Art Riesenzuckerberg, durch den man sich durchfressen muss, um ins Mew'sche Schlaraffenland zu gelangen. Das hängt allerdings auch nicht zwingend mit Erkenntnis zusammen. Mit höherem Wissen schon gar nicht. Die Platte bleibt mystisch. Vollgestopft liegt der Hörer irgendwann am Milch- und Honigbach. Ein Impuls entscheidet, ob dieses Gefühl des akustischen Übersättigtseins gefällt oder nicht. Mir schmeckts. Rülps.

Trackliste

  1. 1. Circuitry Of The Wolf
  2. 2. Chinaberry Tree
  3. 3. Why Are You Looking Grave?
  4. 4. Fox Cub
  5. 5. Apocalypso
  6. 6. Special
  7. 7. The Zookeeper's Boy
  8. 8. A Dark Design
  9. 9. Saviours Of Jazz Ballet (Fear Me, December)
  10. 10. An Envoy To The Open Fields
  11. 11. Small Ambulance
  12. 12. The Seething Rain Weeps For You (Uda Pruda)
  13. 13. White Lips Kissed
  14. 14. Louise Louisa
  15. 15. Forever And Ever
  16. 16. Shiroi Kuchibiruno Izanai (White Lips Kissed - Japanese Version)

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