laut.de-Kritik

"What about you, you drunken soul?"

Review von

Ein laues Lüftchen von der Nordsee, die Luft schmeckt nach Salz und den letzten Sonnenresten, die Menschen um dich herum lauschen andächtig dem jungen Mann mit dem windzerzausten Haar und seinem Begleiter am DJ-Pult. Der Abend mit Milky Chance auf dem Dockville Festival 2013 wird mir noch lange in Erinnerungen bleiben. Im Gepäck hatte der junge Mann aus Kassel sein erstes Album, das über das Label Lichtdicht Records erscheint, das seine Freunde extra für ihn gegründet haben.

Clemens Rehbein singt und spielt, als wäre das sprichwörtliche "omen est nomen" erst für ihn erfunden worden: sanft, umschmeichelnd und in gleichem Maße vorantreibend. Sein Debüt "Sadnecessary" erzählt Geschichten aus dem Bauch heraus. In einer Mischung aus Pop, Singer-Songwritertum und Anleihen aus dem weiten Reggae-Gefilde singt Milky Chance nach seinem YouTube-Renner "Stolen Dance" noch dreizehn weitere Songs über große Liebe und kleine Gesten.

Von vorne angefangen handelt "Stunner" von einer Wahnsinnsfrau, die der Erzähler für sich gewinnen kann: einfache Geschichte, schönes Happy End: "Come come we go up to church / and ring the bell of happiness / we go so far and we / end up in richest poverty". "Flashed Junk Mind" dagegen ist eine allgemeingültige Ode an die Jugend und das Nachtleben. Mit Offbeats und gedoppeltem Gesang mausert sich Track zwei zu einem meiner persönlichen Highlights auf dem Album.

Auf die Freude folgt das scheinbare Gegenteil. Mit verschlagener Stimmer singt Milky Chance über Eifersucht und verdrängte Gefühle. Das Gefährliche am Sound ist, dass man "Becoming" trotzdem für einen weiteren Schmachtfetzen halten kann. In "Feathery (Slow Version)" erwartet uns ein trauriges Bass-Drum-Spiel zu leidvollen Zeilen: "I'm trying to hold you with my arms around your heart / Even though, love is going to kill me, I will try.".

Die ersten Takte des bald folgenden Titeltracks animieren sogleich zum Mitsingen. "Sadnecessary, that's what you promised me / All I can do, is to follow the tears" - da kräuselt sich jedes Haar einzeln vor Wohlwollen. Wie die garstige Stiefmutter in Schneewittchen befragt der romantisch paralysierte Erzähler seinen allwissenden Spiegel nach dem Schuldigen für sein gebrochenes Herz.

"Down By The River" ist der erste Vorbote zur sonnigen Klangseite des Albums und ein weiterer guter Grund für die Liebe auf den ersten Blick, die viele zu Milky Chances Musik hegen. Der Sänger zieht unterdessen seine Parallelen zwischen der Liebe und einem endlos fließenden Gewässer, in dem man sich treiben lassen, leider aber auch ertrinken kann.

Der Titel "Sweet Sun" trifft wiederum den Nagel voll auf den Kopf. Milky Chance hüllt uns auf ein Neues in ein Netz – diesmal aus schön lasziven Worten, Bildern und sexuellen Anspielungen, daran ändert auch das anfängliche Hüsteln nichts: "I am attracted to you like the sun / to the moon and I'll be sweeping when I touch the skin / [..] I never want to leave the bible we've made when we create."

Relativ einfach wirkt daraufhin "Fairytale" als schlichtes Liebeslied. Und es bahnt sich an: sommerliche Leichtigkeit und herbstliche Wehmut. "Stolen Dance" ist und bleibt der Song dieses Sommers für die liebende Indiegeneration. Das abschließende "Loveland" schließt mit einem schön im Hintergrund gezupften Resümee: "And we we're so so so so so so in love."

Wie auf dem Dockville bewegt Milky Chance auch mit seinem Album die Herzen der Hörer. Das aber in einem lässigen Takt, auf den der Pop schon seit langem wartet. Derjenige, der mir das Konzert nahegelegt hat, hat es übrigens nie dorthin geschafft.

Trackliste

  1. 1. Stunner
  2. 2. Flashed Junk Mind
  3. 3. Becoming
  4. 4. Running
  5. 5. Feathery (Slow Version)
  6. 6. Indigo
  7. 7. Sadnecessary
  8. 8. Down By The River
  9. 9. Sweet Sun
  10. 10. Fairytale
  11. 11. Stolen Dance
  12. 12. Loveland (Studio Version)
  13. 13. Feathery (Bonus Track)
  14. 14. Loveland (Bonus Track

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