laut.de-Kritik
Der rohe und hoffnungslose Gegenentwurf zu "Psalm 69".
Review von Toni HennigMinistry machten 1992 mit ihrem Album "Psalm 69" und Hits wie "N.W.O." und "Just One Fix" Industrial-Metal für den Mainstream salonfähig. Mit zunehmenden Erfolg nahm jedoch die Drogensucht des Fronters Alain David 'Al' Jourgensen, von vielen Fans einfach nur Onkel Al genannt, erst so richtig an Fahrt auf. Dem Loudwire-Magazin erklärte er, dass er "schon dreimal tot" war.
So prägten Probleme im Umgang mit Rausch- und Betäubungsmitteln sowie Besetzungswechsel den Entstehungsprozess von "Filth Pig". Die Keyboards übernahm Al kurzerhand selbst, während Rey Washam zusätzliche Schlagzeugparts beisteuerte. "Psalm 69"-Keyboarder Michael Balch zeichnete lediglich für das Programming in "The Fall" zuständig.
Vom Sound des Vorgängers blieb auf "Filth Pig", das am 30. Januar 1996 in die Läden kam, so gut wie kaum noch etwas übrig. Laut Jourgensen vezichtete die Band bis "auf ein Spoken-Word-Sample" vollständig auf "Samples", wie er in einem Interview für das deutsche Zillo-Magazin verriet. Außerdem spielte er "die Mundharmonika, das Klavier, Pedal Steel, Orgel" alleine ein. Auch die Drumparts entstanden "live". Textlich spiegelte die Scheibe größtenteils die Heroinsucht des Frontmannes und die generelle Drogenproblematik der Band wieder.
Der wütende Opener "Reload", der im Vergleich zu den Songs auf "Psalm 69" schon im leicht gemäßigten Tempo daherkommt, führt da etwas auf die falsche Fährte. Repräsentativ für die rund fünfzig Minuten steht eher das Titelstück mit seinem schlagzeuggetriebenen Sound, dem sich brutale, rohe Gitarrenwände, tiefe und unbehagliche Basstöne, selbstzerstörerische Vocals und das wohl verstörendste Mundharmonika-Solo seit Ennio Morricones "L'uomo dell'armonica" aus "Spiel mir das Lied vom Tod" anschließen.
Das zähflüssige, von einem monotonen Riff und einem markanten, schrägen Sample getriebene "Lava" macht seinen Namen alle Ehre. "Crumbs" kommt mit scheppernder Drum- und roher Saitenarbeit sowie dem hasserfüllten Gesang so staubtrocken wie kaum ein anderer Ministry-Track daher, während das unaufhaltsam nach unten ziehende "Useless" eines der ganz wenigen Stücke der US-Amerikaner ist, das durchgängig von den verzerrten Vocals des Bassisten Paul Barker lebt. Wer mehr von Barkers Gesang haben will, dem sei sein Soloprojekt Lead Into Gold ans Herz gelegt, das schon sehr bald mit dem neuen Studioalbum "Knife The Ally" zurückkehrt.
Scheppernd geht es wieder in "Dead Guy" zur Sache, das aber im Vergleich zu "Crumbs" etwas eintönig gerät. Dafür lockern die rapartigen Vocals Jourgensens die Nummer ein wenig auf. "Gameshow" macht es da mit dramatischen Gesangs- und Gitarrenakzenten im Refrain schon besser. Höhepunkt der Scheibe bildet "The Fall", das nur noch pure Hoffnungslosigkeit hinterlässt, wenn es heißt: "Everything is useless / Nothing works at all / Nothing ever matters / Welcome to the fall". Die melancholisch süßlichen Piano-Klänge machen die depressive Stimmung ein klein wenig erträglicher.
Ein wenig zugänglicher und nicht mehr ganz so finster gestalten sich die letzten beiden Tracks. Das Cover des Bob Dylan-Klassikers "Lay Lady Lay" erweist sich für Albumverhältnisse als recht melodisch. Der Alternative Rock-artige Closer "Brick Windows", der mit verspielten Gitarrenfeedbacks aufwartet, rundet das Werk auf geradlinige Weise ab. Textlich spürt man im letztgenannten Song aber doch eine Menge Frustration, so dass von Zuversicht auch nicht unbedingt die Rede sein kann.
Kommerziell blieb die Scheibe hinter den Erwartungen nach "Psalm 69" zwar zurück. Ein verkaufstechnisches Desaster war die Platte aber auch nicht. In den USA und in Deutschland erreichten Ministry mit dem Album ihre bis heute höchste Chartplatzierung. Mit "Dark Side Of The Spoon" erschien drei Jahre später ein Werk, das noch experimenteller und noch mehr musikalisch gegen den Strich gebürstet war als "Filth Pig". Mit "Animositisomina" kehrten die US-Amerikaner 2003 jedoch zur Freude vieler Fans allmählich zur alten Erfolgsformel zurück.
Von Heroin und Crack kam Al Anfang der 2000er-Jahre los, hatte danach aber mit Alkoholproblemen zu kämpfen. Trotzdem macht er immer noch Musik. Nach einer letzten Scheibe 2026, an der sich auch Paul Barker beteiligt, soll jedoch dann Schluss sein. Dass es auch ganz anders hätte kommen können, hört man "Filth Pig" so gut wie durchgängig an. Für viele Hörer dürfte der harte, rohe und intensive Sound auf der Platte sicherlich die Einstiegsdroge für experimentelle und extreme Metal-Spielarten wie Sludge-, Doom- oder Stoner Metal gewesen sein.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit 8 Antworten
lol... das mit abstand unbeliebteste albung in der ministry disko wird gemeilensteint
chappeau laut.de auch für sowas liebe ich euch
♥ ♥ ♥
für mich ist es auch das ministry werk, das ich am meisten höre. das und das buck satan industrial country albung
Ebenfalls mein Favorit weil besser gealtert als die Vorgänger, wohl auch weil die Industrialelemente stark runtergeschraubt wurden. Generell hatten Ministry zwischen 86 und 04 einen kriminell unterschätzten Lauf.
Das Ding ist so abgefuckt und lebensmüde, nur sehr sehr wenige Platten haben das so gruselig authentisch einfangen können wie Filth Pig. Verständlich aber auch schade, dass Al diese Songs seit 2004 nicht mehr performen will.
"With Sympathy" würde ich gar nicht mal ausschließen. Ist eine sehr gute, charmante Synthpop-Platte und sogar in meiner Ministry Top 3.
Platz 2 wäre nach "Filth Pig" noch "The Mind Is A Terrible Thing To Taste".
Was With Sympathy angeht, bin ich da eider voll bei Al. Alleine der gefakete Akzent zerschießt mir auf der Platte Alles. Bin aber auch generell kein großer Synthpop Fan, insofern hat so ein Depeche Mode-Cosplay Album von Ministry bei mir eh keine hohen Chancen, unabhängig davon, ob es jetzt gut oder schlecht ist.
Danke Toni, als "nur" Psalm Hörer und kein großer Ministry Fan, ist "with sympathy" genau das was Du beschreibst. Und gelungen.
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Bitte! Onkel Al und Co. hatten die frühen Songs auch als "The Squirrel Years Revisited" kürzlich neu eingespielt. Die 12'' Singles-Compilation ist auch empfehlenswert.
Über die Jahre neben der Mind is a terrible thing das Album von Ministry, was ich immer noch am meisten höre. Ebenso oft auf der Liste ist auch die Dark side of the spoon.
wobei die "Mind" sehr flach produziert wurde- muss man mögen.
dark side of the spoon mag ich auch sehr. tatsächlich sind filth pig und dark side die einzigen ministry sachen, die ich höre.
allerdings, buck satan and the 666 shooters verdient auch einen meilenstein und al sollte vllt das wieder reaktivieren...