laut.de-Kritik
Der Freak und das Meer. Ein Folktronica-Märchen.
Review von Matthias MantheViele Musikjournalisten halten sich für mächtig abgebrüht. Alles schon einmal gehört, jedem Klangkosmos sein Türschildchen verpasst, nichts überrascht mehr. Bis eines Tages ein Album auf dem Schreibtisch landet, das einen gänzlich unbekannten Stempel trägt: "Folktronica". Stirnrunzeln. Folk, klar, kennt man. Und Electronica sowieso. Aber wie geht das denn bitteschön zusammen? Ganz wunderbar, wie David Edwards aka Minotaur Shock beweist.
Der nerdige Soundtüftler aus Bristol kann mit der Schublade "Folktronica" selbst wenig anfangen, die britische Musikmagazine in Anbetracht seines Sounds ratlos erschufen. Edwards hört keinen Folk. Edwards sitzt lieber zuhause am Computer und bastelt bezaubernden Instrumental-Pop mit dezenter Analoguntermalung. In seinen Kompositionen haben sowohl Streicher und Bläser als auch Tasten- und Saitenklänge Platz. DJ Shadow brachte ihn zur Musik, mittlerweile klingt Minotaur Shock einzigartig. Das Konzeptalbum "Maritime" schwimmt selbstständig auf einer Insel zwischen Boards Of Canada, Do Make Say Think und entspannten Aphex Twin-Geistesblitzen.
Hier entstehen in penibler Schichtarbeit keine Tracks, sondern Songs. So auch im Opener "Muesli". Ein verspultes Klarinett lädt ein ins Edwardsche Universum. Glockenspiel gesellt sich hinzu, der Schellenkranz will ebenfalls mit. Dann setzt das Akkordeon ein, und plötzlich befindet sich der Hörer an der Küste und blickt aufs weite Meer. "(She's In) Dry Dock Now" trägt mit Flötentönen und 80er Synthie Pop wie auf einer Wolke hinfort, bevor die Single "Vigo Bay" erstmals Gas gibt. Der Discostampfer könnte auch aus der Feder von The Faint stammen und platzt fast vor mitreißenden Richtungswechseln.
Niemals überlädt Minotaur Shock im Verlauf der 52 Minuten seinen Electro-Kahn. Stücke wie das stotternde Popjuwel "The Broads" atmen statt dicken Bässen eine naive reduzierte Leichtigkeit, die Edwards wie ein kleines Kind in Phantasialand mit großen Augen instrumentiert. Kollege Cordas attestiert Poplatina Shakira Fahrstuhlmuzak - "Six Foolish Fisherman" würde man sich in jedem Kaufhaus in Dauerrotation wünschen. "Somebody Once Told Me It Existed, But They Never Found It" funktioniert als entrückt-verrückte Kurzgeschichte: Eine einsame Akustikgitarre führt in die Erzählung über einen Schatzsucher ein, dann berichten freudestrahlende Klangbilder vom Goldfund. Der Suchende birgt den Schatz aber nicht - weil ein Seevogel auf der Kiste nistet.
"Maritime" grinst über beide Ohren vor Verzückung. Minotaur Shock bastelt uns elf Wärmekissen, Füllhörner verschrobener Magie und liebenswürdiger Melancholie. Ein romantisches Statement gegen Geschwindigkeitswahn und Oberflächigkeit, für die Freude an einfachen Dingen.
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