laut.de-Kritik
6 LPs oder 3 CDs ziehen dich tief hinein in den Treibsand.
Review von Ulf KubankeMit "Central Belters" veröffentlicht die Postrock-Ikone Mogwai erstmals eine umfangreiche Werkschau ihres bisherigen Schaffens. Ein Bein reißen sie sich dafür nicht gerade aus. Unter den 35 Titeln befindet sich nicht eine Sekunde bislang unveröffentlichtes Material. Dennoch geht das Boxset - egal ob als LP-Sixpack, Triple-CD oder MP3-Download - nicht als bloße Pflichtübung, sondern als echter Bringer durchs Ziel.
Das liegt vor allem an der Auswahl der Stücke. Hier können die Meister des Laut-Leise-Kontrasts aus dem Vollen schöpfen. Egal, welche Platte man aus ihrem Katalog herausgreift: Fast jeder Augenblick ist ein musikalischer Genie-Moment, dem man sich wahlweise intellektuell oder rein instinktiv und emotional nähern kann. Musik von Mogwai wirkt wie Treibsand. Mit jeder Bewegung sinkt man tiefer in den anziehenden Kosmos dieser Klänge.
Der überwiegende Teil besteht aus einer nahezu chronologischen Selektion ihrer Alben. Die Schotten haben einfach Titel ausgewählt, die sie selbst als herausragend empfinden. Vor allem Einsteiger stellen fest, dass die Briten zu Beginn ihrer künstlerischen Konzeption (etwa beim definierenden "Young Team") schon unfassbar weit waren. So zeigen die hier vertretenen Titel grandioser Alben wie etwa "Mr Beast" ("Auto Rock") oder meinem persönlichem Liebling "The Hawk Is Howling" ("I'm Jim Morrison, I'm Dead") vor allem eines: Mogwai haben sich meist eher verändert, denn entwickelt. Letzteres hatten sie kaum nötig. Jede Platte bringt neue Facetten dieses Musik-Leviathans hervor.
Kleiner Wermutstropfen: Wer schon alle Alben sein Eigen nennt, kann sich die Mogwai-Playlist innerhalb weniger Minuten selbst zusammenstellen. Jäger und Sammler dürfen sich dennoch an einem knappen Dutzend Seltenheiten erfreuen, die man lediglich auf ihren zahllosen Singles oder EPs findet.
Zwei außergewöhnliche Stücke verdienen besondere Beachtung: "Devil Rides" ("Batcave" EP) ist ein für Mogwai-Verhältnisse recht konventioneller Song. Er gewinnt vor allem durch die abgerockten Vocals des tragischen Gaststars Roky Erickson (13th Floor Elevators), der sich perfekt in den melancholischen Sound einfügt.
"My Father My King" (One-Track-Single von 2001) ist ihr bislang längstes Lied und kultisch verehrtes Ende ihrer Gigs. Sie selbst nennen es "zwei Drittel Gelassenheit, ein Drittel Death Metal!" Und es ist noch viel mehr: Archaische Vergangenheit und moderne Gegenwart, liebliche Mystik und schroffe Realität prallen zur wilden Vereinigung aneinander. Es ist eine Interpretation des "Avinu Malkeinu" ("Unser Vater, Unser König"), einem 2000 Jahre alten hebräischen Chant, den man als Gebet zu Jom Kippur singt.
Zusammen mit Produzent und Dekonstruktionsexperte Steve Albini löschen sie alle Worte und schnappen sich zwei Grundmelodien der uralten Vorlage. Die Sanftheit explodiert alsbald im eruptiven Feuer eines harschen Soundgewitters voller Feedbacks und wahnsinnig um sich schlagender Riffs. Nach knapp 20 Minuten ist das Inferno dann vorbei. Der Hörer bleibt angemessen aufgewühlt in der Stille zurück. Allein schon für diesen ultimativen Mogwai-Moment lohnt sich die Anschaffung von "Central Belters".
2 Kommentare mit einer Antwort
das gefällt aber mal, kannte ich noch gar nicht, vielen Dank...
...ja, Hammerband.
Ich empfehle dir wärmstens deren Live-"Film" namens "Burning"! Ein echter Kracher.
Mogwai = Götter