laut.de-Kritik
Kinder in Smiths-Shirts und tätowierte Die Hard-Fans: Ein Jubiläum umgeben von Ja-Sagern.
Review von Michael SchuhSchwierige Zeiten für Morrissey: Nach wie vor zeigt kein Label gesondertes Interesse an einem Vertragsangebot für einen der wenigen Künstler mit "drei britischen Nummer Eins-Albumplatzierungen in drei Jahrzehnten" (Klappentext der Morrissey-Autobiographie). Seine seither andauernde Endlostournee wurde im Frühjahr wegen einer Gehirnerschütterung, einem blutenden Geschwür und einer Refluxkomplikation an der Speiseröhre unterbrochen. Danach legte ihn eine Lebensmittelvergiftung auf die Bretter.
Die Kunst, nichts zu tun, sei nun das wohl erstrebenswerteste Ziel, so der Meister in gewohnt fatalistischer Diktion, nachdem auch noch die so herbeigesehnte Südamerika-Tour aufgrund von fehlender finanzieller Absicherungen abgesagt wurde. So weit, so tragisch. Nur: Wofür steht Morrissey 2013 eigentlich? Ist er nur noch eine sich selbst karikierende Kultfigur, die für gezielt fehlinterpretierende Interviewäußerungen steht, keine Platte nach 1977 für diskussionswürdig hält und - in Ermangelung guter Menschen in der bösen Musikindustrie - ausschließlich für seine Fans lebt?
Für letzteres spricht die Entscheidung, ein Konzert in einer beschaulichen Location wie der Hollywood High School aufzuzeichnen, nachdem er am Vorabend im Superstar-Bunker Staples Center in Downtown L.A. die Massen betörte. Klingt alles plausibel, genau wie die Idee, nach der Manchester-DVD von 2005 nun eine Show in L.A. aufzuzeichnen, Wahlheimat des großes Melancholikers und angeblich Ort seiner leidenschaftlichsten Verherer.
Um die Zurschaustellung dieser These ist der Film bemüht. Fans werden vor der Halle interviewt, Bedingung: Entweder aus Mexiko angereist, mit Morrissey-Tattoos auf verschiedensten Körperteilen gesegnet oder mindestens fünf Stunden auf ein Ticket gewartet. Danach die Andeutung eines Blicks hinter die Bühnenkulissen, dann aber doch nur kurze Schnitte, die die A-Promis Patti Smith, Russell Brand und Joaquin Phoenix zu erkennen geben. Notiz an alle: This is a serious concert!
War es sicherlich auch für alle, die dabei sein durften. Schade nur, dass man davon am Bildschirm wenig mitbekommt. Brand hält vorab eine kleine Laudatio - immerhin ist Morrisseys 25-jähriges Jubiläum als Solokünstler der Anlass - danach folgt ein überraschungsarmes Konzert mit üblichen ausgewürfelten Setlist.
Er wirft das Kabel, er wechselt Hemden, er berührt Hände: Dieser Abend des 2. März 2013 hätte so auch in Zagreb oder Düsseldorf stattfinden können. Doch das ist er natürlich nicht, weshalb das Drehbuch etwas umgeschrieben wurde. Gleich im eröffnenden "Alma Matters" fängt die Kamera einen etwa 8-Jährigen ein, der ein altes Smiths-Shirt trägt und ebenso die Hände nach Morrissey streckt wie alle anderen. Am Ende des Konzerts darf er natürlich auf die Bühne und wird sogar ein paar Meter getragen.
Das generell überflüssige "Ouija Board, Ouija Board" zersägt Jesse Tobias mit schneidenden Hardrock-Soli, so dass man über die seltsam kraftlosen Albumversionen von "Irish Blood, English Heart", "You Have Killed Me" und "You're The One For Me Fatty" schon dankbar ist. Man wartet und wartet und wartet, aber: Bis Song acht ist keine besondere Stimmung erkennbar. Doch dann, endlich, bei "Still Ill" hört man auch die Hardcore-Fans im Refrain beim "Oooh-oooh-ooooohhhohoo"-Chor.
Jaja, kein Label will Morrissey signen, vielleicht liegt es ja an den neuen Songs: "People Are The Same Everywhere" ist einfach schlecht und langweilig und "Action Is My Middle Name" klingt in meinen Ohren wie eine billige Kopie von "I'm Throwing My Arms Around Paris". Sorry father for I have sinned!
"Speedway" in einer schön reduzierten Version in den Strophen ist ein toller Höhepunkt, zumal mit einem "Alseep"-Break verfeinert. Ganz zu schweigen vom donnergrollenden Schlachtbank-Inferno "Meat Is Murder" und Morrisseys Lyrics-Spielereien ("KFC is murder"). Und immer wieder dieses unkaputtbare Balladenjuwel "Please, Please, Please Let Me Get What I Want" oder die Next-Level-Wehklage "Everyday Is Like Sunday", die seinen Weihestatus als Stimme der Entfremdeten auf ewig gefestigt zu haben scheinen. Bonusmaterial, das den privaten Morrissey zeigt? Im nächsten Leben vielleicht.
Davon abgesehen, dass die Setlist auch nur an zwei, drei Stellen zum Vorabend geändert wurde, ist "25 Live" vor allem die theatralische, dem Ort allzu wörtlich entsprechende Hollywood-Umsetzung anzulasten. Schwer zu ertragen wie Morrissey das Mikro mehrmals in die erste Reihe gibt, um sich in den Lobhudeleien seiner Fans zu suhlen ("Thank you for singing so open heartedly to us" etc.) oder auch seine inflationär gedroschenen "I love you"-Phrasen. Der männliche Fan mit Vollbart und Nasenpiercings, der etwa 30 Mal ins Bild darf. Oder auch die übertrieben devoten und exakt gleichen Sätze seiner Bandmitglieder bei der Vorstellung (z.B. "Hi I'm Salomon and I play bass for Morrissey").
Es wirkt, als fühle sich Morrissey heutzutage am wohlsten, wenn er von Ja-Sagern umringt ist. Auch dass er jüngst für eine einzige Buch-Signierstunde weltweit in die europäische Mozz-Hochburg Schweden reiste, passt in dieses Bild. Jetzt wo sein Buch und der Nachruf auf Lou Reed geschrieben sind, kann man ihm nur wünschen, sich wieder der Kernkompetenz eines Musikers zu erinnern. Dazu muss man auch nicht zwingend auf eine Bühne.
4 Kommentare mit einer Antwort
aber ehrlich, n Steak ab und zu würd ihm nicht schaden ^^
ne... zum Topic, werds mir gern durchlesen. Aber irgendwie trau ich dem Typen nicht. Persönlich kommt der mir viel zu Arschlochig rüber als das ich seine Musik schätzen könnte. *sfz*.
Dabei könnte mir das sogar gefallen.
Die Setlist sieht eigentlich ordentlich aus, daher kann man durchaus ein Auge und Ohr riskieren. Kritik musste der Gute schon genug über sich ergehen lassen, an seiner Stelle würde ich mich - gerade zum Jubiläum - auch mit Ja-Sagern umgeben.
Congratulations my dear!
Ich würd' mich ja gerne mal bei Morrissey in die erste Reihe stellen und ein GrillHähnchen essen.
Hehe! Und das Gerippe anschließend auf die Bühne werfen.
Wird auf seinen Konzerten nicht nur Tofu am Stiel verkauft?
Also, jetzt den Fans vorzuwerfen, dass sie bescheuert sind, scheint mir etwas übertrieben. Solche Sektenkinder findet man ja nun bei jeder Band oder Solo-Künstlern, gerade dann, wenn ein Künstler wie Morissey so tiefe Emotionen anspricht.
Ich meine, das ist natürlich irgendwie lächerlich, was da bei den Leuten im Publikum abgeht, aber das ist doch letztlich ein prinzipielles Problem der Fankultur.
Das Problem beim Rezensenten könnte aber auch der Übersättigungseffekt sein, denn wer so inbrünstig und lange einen Künstler und dessen ehemalige Band begleitet, ist auch irgendwann übersättigt. Man kennt sich einfach zu gut, so dass mit der Zeit einfach nur noch alles nervt; wie in einer Beziehung.
Ich würde jedoch abwarten, denn irgendwann kommt der Punkt, an dem das Ganze in eine noch tiefere Verbundenheit übergeht.