laut.de-Kritik

Selten so einen schönen Sonnenuntergang gehört.

Review von

"Love What Survives" war ein lupenreines Über-Album, ein Monolith mit sehr wenig Rissen und sehr viel Fläche, an der man sich räkeln und der man huldigen konnte, ja: musste. Sieben Jahre ist das jetzt her und "MK 3.5" war anders als Jackass 3.5 halt wirklich nur ein Punkt-Fünf, ein Zwischendingens, weder Fisch noch Fleisch. Campos und Maker müssen ihre Genies zusammenzwingen, damit man doll an der Zauberlampe reiben mag. Aber in welche Richtung, das war bis zur Veröffentlichung von "The Sunset Violent" tatsächlich völlig offen. Der Vorgänger war schon noch Elektronik, näherte sich dem Indie aber so sehr, wie sich Joe Mount vom Indie her manchmal der Elektronik nähert. Und eben "MK 3.5", die offen kommunizierte weite Entfernung zwischen den beiden (L.A. und London) und die lange Wartedauer legten für alle sichtbar offen, dass die Bruchlinie innerhalb der Band nicht ohne Weiteres verheilt.

Das Urteil fällt bereits dank der Single "Fishbrain" mit seinem tollen Video leicht: Der auch auf diesem Release wie schon den Vorgängern, vertretene King Krule könnte dieses Album geschrieben haben, wäre er nicht vor einigen Jahren in andere (nicht weniger hervorragende) Richtungen abgebogen. "The Sunset Violent" ist ein Band-Album, es ist ein Indie-Album und neben King Krule dürften die bereits erwähnten Metronomy genau hinhören. Bessere Glaubensbrüder kann man sich schwer vorstellen, und so ist "Fishbrain" ein echtes Kleinod: Verhuscht und tanzbar, selbstbehauptend und komisch, melancholisch und unergründlich, textlich bewegend und doch abstrakt. Die noch zuvor erschienene zweite Single "Dumb Guitar" ist leichter als Kimbie-Track zu erkennen, trotzdem hätte auch sie auf "Love What Survives" wohl noch keinen Platz gefunden. Der Vibe erinnert an erdigere MGMT von vor ein paar Jahren. Die Nummer fällt bezaubernd aus, mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Texturen und Ebenen. Obwohl der Track so gefällig fließt, transportiert er eine Vielzahl von Emotionen - teils gleichzeitig. Wirklich neu im Stil sind beide Tracks allerdings nicht; Mount Kimbie sind in dieser Inkarnation eine moderne, progressive Indie-Band.

Das liegt vermutlich nicht zuletzt an den Rollen der Komponistin Andrea Balency-Béarn und des Electro-Künstlers Marc Pell, die nunmehr fest zur Band zählen, nachdem sie schon seit 2016 live dabei sind. Balency-Béarn fällt als Sängerin (und Keyboarderin) natürlich mehr auf, wer Pells Output kennt, darf den Einfluss des Drummers aber nicht unterschätzen. Mit King Krule gibt es ein fünftes Bandmitglied ehrenhalber, oft genug kollaboriert er jedenfalls mit den Bergmenschen. So auf der ersten Single "Boxing", der man natürlich nicht trauen konnte, da man bei Krule und Kimbie nie so recht weiß, wer wie viel Einfluss auf das Resultat nahm. Im Nachhinein passt "Boxing" aber hervorragend zum Rest von "The Sunset Violent": Unglaublich warm, leicht kratzig in der Grundstimmung, aber im Rhythmus völlig sanft fließend, ohne zu plätschern. Post-Shoegaze, dem man den Lärm zugunsten wunderschöner Melodien entzogen hat.

Endlich kommen wir auf diesem bislang makellosen, im Yucca Valley der kalifornischen Wüste aufgenommenen und in London mit Stammproduzent Dilip Harris (fast schon das sechste Bandmitglied) vollendeten Album zum Opener: Auf "The Trail" erschallt Campos Gitarre gleich zu Beginn, ohne sich auch nur im Ansatz zu schämen. Andrea gibt den vokalen Hintergrund, das Instrumental ist genuin fröhlich, aber nie unbeschwert. Wo Krule in seinem letzten Album Verzweiflung aus jeder Pore strömt, wirken Maker und Campos zwar reflektiert und durchaus an einem schlechten Ort, aber mit zu viel Spaß an der Musik, um sich dem Tanzen erwehren zu können.

Und so wird dann selbst ein Song wie "Shipwreck", bei aller transportierter Ratlosigkeit und Verletzung, beschwingt, in Ermangelung eines besseren Wortes. Der Song, dessen herzzerreißende Lyrics würde selbst ein masochistischer Amokläufer wie Mark Kozelek goutieren: ("I lost my belief/ In love, I’m all alone/ It’s fantasy man/ A story overdone/ Is there someone you need/ Somewhere you’d rather belong?"). Dominic Maker singt diese Zeilen mit so viel Trauer und wirkt trotzdem befreit, sie mit dieser Band auf diese Art und Weise singen zu dürfen. Muss ich überhaupt noch erwähnen, wie toll und vielschichtig dieses Gitarrenopus ist?

Und es bleibt dann nicht mal bei diesen wunderschönen, facettenreichen Gitarrensongs. "Got Me" ist ein scheinender Diamant, den man aus allen Richtungen anschauen kann und immer wieder neue Entdeckungen machen wird. Ein Kunstlied, das White Rabbits heutzutage vielleicht machen würden, gäbe es sie noch. "A Figure In The Surf" versetzt einen in eine Strandbar der US-Westküste, gegen 1:00 Uhr morgens, gut angeschickert. Charlie Sheen tanzt oberkörperfrei und komplett durchnässt einsam vor sich hin zu genau diesem Lied. Ein Lied von einem erfolglosen Ausbruch, von einer Flucht aus der Kälte ins Licht, die scheitern musste. Falls jemand mitzählt: Immer noch ein perfektes Album.

Die letzten beiden Songs, "Yukka Tree" und "Empty And Silent", gehören jeweils Andrea und King Krule. Sollte Dee Dee als Kristin Kontrol - lieber aber mit den Dum Dum Girls - zurückkehren, hört sie sich hoffentlich ungefähr so an wie "Yucca Tree". Nicht der stärkste Track des Albums, dafür fehlen hier die überbordende Komplexität oder die kleinen, wunderschönen Ideen. Wobei das fast nicht stimmt, die Synthiefigur zum Ende hin ist so eine, aber immer noch von einer musikalischen Selbstverständlichkeit geprägt und einer im englischen Sinne 'angst' im Text, die einen erschaudern lässt. Das alles über Gitarren, die so dicht sind, das sie einen nicht fallen lassen, aber keine einzige Liane zu viel ist. Die aber trotzdem nicht anstinken gegen die in "Empty And Silent", in denen Krule einen Text aus seinem Tagebuch verwendet und einfach alles passt. Ein absolutes Meisterwerk, ein würdiger Schlusspunkt, ein Song in einer Reihe mit Indie-Großtaten wie "I Am The White-Mantled King" von Cats On Fire, ein perfektes Amalgam aus Krule und Kimbie. Wenn sie für etwas wie "The Sunset Violent", das im Übrigen ein tolles Cover hat, sieben Jahre brauchen, dann freue ich mich auf 2031.

Trackliste

  1. 1. The Trail
  2. 2. Dumb Guitar
  3. 3. Shipwreck
  4. 4. Boxing feat. King Krule
  5. 5. Got Me
  6. 6. A Figure In The Surf
  7. 7. Fishbrain
  8. 8. Yukka Tree
  9. 9. Empty And Silent feat. King Krule

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