laut.de-Kritik

Der Alter Bridge-Sänger überzeugt auch solo.

Review von

Etwa sieben Jahre werkelte Myles Kennedy an seinem ersten Soloalbum. Das war wohl eine Weile zu lang, denn als es 2016 endlich fertig ist, lässt er es fallen und beginnt stattdessen die Arbeit an "Year Of The Tiger". Den vor Jahren angekündigten Gastauftritt Slashs sucht man deshalb auf Kennedys offiziellem Solodebüt vergeblich. Der Alter Bridge-Frontmann präsentiert sich von seiner ruhigen Seite, arbeitet größtenteils akustisch und liefert ein überraschendes Singer/Songwriter-Album.

Die tänzelnden Americana-Patterns klingen im Vergleich zum bisherigen Schaffen des Bostoners zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Ein gelöster Blues-Country-Rocker inklusive Kontrabass à la "These Boots Are Made For Walkin'" wie "Devil On The Wall" steht doch in ziemlichem Kontrast zum Stadionrock von Alter Bridge und Slash. In "Blind Faith" und "Ghost Of Shangri La" dominiert Slide-Gitarre, "Songbird" eignet sich mit energischen Arpeggios und simpler Hook ideal für fortgeschrittene Lagerfeuer-Musiker.

Woran sich Fans festhalten können, ist Kennedys Stimme. Die rückt deutlich in den Vordergrund, Kennedy setzt sie gewohnt variabel ein. Die breiten, in hohen Lagen angesiedelten Meldebögen liegen ihm nach wie vor am besten. Gerade wenn die Arrangements zwischendurch fetter werden und hin und wieder die Rock-Einflüsse durchkommen, etwa im epischen "The Great Beyond". "Haunted By Design" und "Love Can Only Heal", beide eher sparsam instrumentiert, wenn auch im Feeling grundverschieden – trägt Kennedy dagegen mit warmem Bariton.

"Love Can Only Heal" stammt übrigens als einziger Track aus den Songwriting-Sessions zum "ersten" Album. Auf ungewöhnliche Harmonik, wie er sie zum Beispiel im Titeltrack oder im leicht fernöstlich angehauchten "The Great Beyond" einsetzt, verzichtet Kennedy hier. Stattdessen spielt er eine übersichtlich strukturierte Ballade. Gerade in seiner Einfachheit stellt "Love Can Only Heal" einen der emotionalsten Tracks des Albums dar.

Textlich beschäftigt sich Kennedy mit dem frühen Verlust seines Vaters, der 1974 – im chinesischen Kalender ein "Jahr des Tigers" – verstarb. Auch wenn die aus verschiedenen Perspektiven (zum Beispiel der seiner Mutter) verfassten Lyrics durchweg dramatisch und meist düster ausfallen, ist "Year Of The Tiger" kein depressives Album. Das verhindern Nummern wie das angesprochene "Devil On The Wall" oder der in forschem Uptempo gehaltene, etwas an Led Zeppelins "The Battle Of Evermore" erinnernde Titelsong und der Groove von "Nothing But A Name".

Zwar fehlt so etwas der musikalische rote Faden, da Kennedy weder eindeutig dem Americana/Folk/Country-Stil treu bleibt noch seine ureigene Stilmischung schafft. Dank kompositorisch und vor allem gesanglich starker Einzelstücke funktioniert "Year Of The Tiger" als abwechslungsreiche Songsammlung aber hervorragend.

Trackliste

  1. 1. Year Of The Tiger
  2. 2. The Great Beyond
  3. 3. Blind Faith
  4. 4. Devil On The Wall
  5. 5. Ghost Of Shangri La
  6. 6. Turning Stones
  7. 7. Haunted By Design
  8. 8. Mother
  9. 9. Nothing But A Name
  10. 10. Love Can Only Heal
  11. 11. Songbird
  12. 12. One Fine Day

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