laut.de-Kritik

So elektrisierend kann ein Aufbruch sein.

Review von

Niki habe ich schon eine ganze Weile auf dem Schirm: Besonders ihr erstes Album "Moonchild" hatte ein paar wirklich coole, nokturnale Momente an experimentierfreudigem, aber überhaupt nicht abgehobenen Pop zu bieten. Im Kontext des 88Rising-Labels war sie auch immer wieder präsent, aber dass sie mit mehreren Songs weit über den 100 Millionen Streams zusammenkriegt, das hätte ich nicht kommen sehen. Mit dem Hören ihres neuen Albums "Buzz" wird offensichtlich: Die war die ganze Zeit wirklich so gut.

Niki hat diese interessante Fähigkeit, dass sie groß gedachten Pop macht, aber selbst nicht besonders viel Persona braucht. In Sachen Attitüde passt sie zu den Indie-Girls der Gegenwart, zu den Clairos, zu den Gracies. Aber musikalisch kommt sie mit einer Leichtfüßigkeit daher, durch die sie binnen kurzer Momente in absoluten Popstar-Modus umschalten kann. Dann spielt sie doch wieder eher unter den Olivias und den Addisons. Aber dieser überraschend große Manöverhorizont im Gewand einer eher unscheinbaren Sängerin war das, was ihre bisherige Arbeit so spannend gemacht hat - und es schlägt auch auf ihrer bisher alt-rockigsten Platte durch.

Man muss sagen: "Buzz" kommt ein bisschen frontlastig daher, der Anfang ist wirklich die absolute Bombe. Besonders der einleitende Titeltrack hat Song-des-Jahres-Potential: Es geht um die Möglichkeit einer neuen Liebschaft, es geht darum, wie aufregend das ist: "The song's about to start (Can you hear it?) / The door's about to open (Can you feel it?) / The flower's about to fruit (Can you see it?)" - gepaart mit dem sonoren Hum macht das eine fast verloren geglaubte Aufbruchsstimmung. Moderner Pop ist ja quasi obsessiv mit dem Verlorenen und dem Toxischen - es ist schön, ein Lied zu hören, das in seiner Positivität Tiefgang findet.

Natürlich bleibt das selten, immerhin gibt es in dieser Ära zu viele toxische Exfreunde zu besingen. Aber selbst das macht sie originell. "Too Much Of A Good Thing" funktioniert als so etwas wie die Brücke - der naive Enthusiasmus schiebt noch, aber die Sängerin wird sich der dramatischen Ironie bewusst. Es hat bisher ja auch nicht geklappt, zack: Breakup. Nur der Pep ist schönerweise noch nicht ganz flöten gegangen. "Colossal Loss" geht in die Offensive und frontet den Ex mit einer immensen Cheekiness, die Niki an vielen Stellen eigen ist und ihr Songwriting leichtfüßíger und verspielter aussehen lässt. Wo jedes Auseinandergehen Shakespearische Auswüchse der Tragik hat, ist ein bisschen Humor bezüglich sich selbst eine sehr schöne Sache.

Vor allem, weil die Punches in die Sadness um so mehr landen. "Did You Like Her In The Morning?" ist ein sehr schönes Beispiel für Nikis konversationales, einfühlsames Songwriting. Sie stellt gerne Fragen, dieser Track ist eine ganze Barrage davon. Und in diesem Fragenkatalog entpuppt sich nach und nach der Verlauf einer ganzen zwischenmenschlichen Dynamik, ohne je auch nur einen Fuß zu viel aufs Gas gestellt zu haben. Da ist Pathos, aber der Pathos ist geerdet und gut genug versteckt, um im richtigen Moment aus dem Schatten zu treten. "Did your hands find her waist when she got sloppy? / Aftеr just a few Manhattans in Berlin / Would you kiss her goodnight, would you walk her inside? / And did you hope the nights would never, ever end?", skizziert sie ihre Eifersuchtsfantasie aus, die Neugier auch nur ein bewusst-ironisiertes Vehikel, sich selbst zu verletzen.

Die zweite Hälfte gleitet dann leider in diesen eher typischen Sadgirl-Pop ab, der die Hörenden unbedingt wissen lassen muss, dass die Carol Kings und die Joni Mitchells ausreichend gut studiert wurden. Es hat seine Momente: "You are good / It's that very goodness that antagonizes me" singt sie zum Beispiel auf "Blue Moon", der Closer "Nothing Can" macht noch mal so richtig den Feuerzeug-in-die-Luft-Moment. Diese zweite Hälfte von "Buzz" ist keineswegs schlecht, aber irgendwie fühlt sie sich doch sehr kontemporär an darin, wie sie ähnliche Bezüge aufmacht, die eben gerade auch alle anderen Post-Taylor Swift-Songwriterinnen aufmachen.

Es verkauft für mehr Authentizität und Rootsiness das, was den Einstieg so explosiv gut gemacht hat: Niki als Charakter konnte so viel Terrain bespielen, ohne sich in großer Ernsthaftigkeit zu verfangen. She's just a lil guy, würde man oft denken, und dann hittet sie einen mit Facetten, die man nicht unbedingt hätte kommen sehen. Aber im Grunde ist auch "Buzz" so eine Bewegung: Die Höhen dieses Albums sind extrem hoch. Ihre Fähigkeit zu Lockerheit in Momenten, die anderen den heiligen Ernst abringen würden und ihre Fähigkeit für Pop, den sie dem Indie unterschiebt, heben sie gegen die langweiligen Tendenzen des Subgenres ab. Das Album ist selbst in seinen tiefsten Momenten erfrischend briesig - und in den besten Momenten hinterlässt es das Gefühl, hier eine definitive Pop-Stimme ihrer Ära zu hören.

Die Streaming-Zahlen haben im Grunde recht: Das Girl kann definitiv im Moment mit den ganz Großen mithalten. Die Dinge im Rückspiegel sind weniger Nische, als sie erscheinen mögen.

Trackliste

  1. 1. Buzz
  2. 2. Too Much Of A Good Thing
  3. 3. Colossal Loss
  4. 4. Focus
  5. 5. Did You Like Her In The Morning?
  6. 6. Take Care
  7. 7. Magnets
  8. 8. Tsunami
  9. 9. Blue Moon
  10. 10. Strong Girl
  11. 11. Paths
  12. 12. Hierloom Pain
  13. 13. Nothing Can

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