laut.de-Kritik

Ein Balanceakt zwischen Verfall und Erlösung.

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Bei Naked Lunch ist wahrscheinlich schon so ziemlich alles schief gelaufen, was schief laufen kann – und trotzdem stehen sie immer wieder auf. Zwölf Jahre nach dem letzten Album "All Is Fever" und satte 35 Jahre nach ihrem Debüt melden sich die österreichischen Indie-Veteranen zurück. Ein Comeback, das so niemand auf dem Zettel hatte. Und doch: "Lights (And A Slight Taste Of Death)" ist genau das, was man von einer Band erwarten darf, die nie das Spiel, sondern immer nur den Sinn dahinter gesucht hat.

Die vergangenen Jahre waren alles andere als glamourös. Sänger Oliver Welter kämpfte sich durch schwere gesundheitliche und persönliche Krisen, die Band existierte zeitweise nur noch als Idee. Jetzt formierte sich das Kollektiv neu – mit alten Weggefährten. Schon der Titel "Lights (And A Slight Taste Of Death)" sagt alles. Ein Balanceakt zwischen Erlösung und Verfall, zwischen der Schönheit des Moments und dem schalen Beigeschmack seiner Vergänglichkeit.

Der Opener "To All And Everyone I Love" führt gleich mitten hinein in dieses Spannungsfeld. Piano und Vocals schrammen haarscharf aneinander vorbei, fast out of key – ein musikalisches Understatement. Man fürchtet kurz das Schlimmste, doch schon mit "Sympathy For The Devil"-artigem Chor und Welters brüchiger Stimme zeigt sich: Naked Lunch sind wieder im Element.

"Only Hollow" scheißt auf alles Überflüssige – Gitarre, Stimme, Ehrlichkeit, 54 Sekunden purer Trotz. "We Could Be Beautiful" lässt dann die Melancholie fließen: schwer, langsam, hymnisch. Naked Lunch versuchen gar nichts – und erreichen alles.

Bei "Go Away" klopfen Trommeln ans Ohr, um sich in leisen Synth-Wellen zu verlieren. "Bring On The Lights" greift den Hall auf, "All The Same" wirkt, als hätte man versehentlich die Wohnzimmerbeleuchtung angelassen – warm, intim und unaufgeregt. "Blackbird" schaltet dann plötzlich in den Groove: Synth-Geballer trifft auf Rhythmusgefühl – die vielleicht coolste Nummer des Albums.

Im Gegensatz dazu: "Come Into My Arms" ist ein Splitter an Verletzlichkeit. Danach folgt das einminütige Interlude "Fuck My Senses", das mehr Atmosphäre als Aussage darstellt, bevor "If This Is The Last Song You Can Hear" zum Gänsehaut-Moment gerät, ein leises, aber ehrliches Gedankenexperiment: Wenn dies der allerletzte Song wäre, den wir hören würden – dann könnten wir uns glücklich schätzen.

"I Saw" bringt schließlich alles zusammen: Bläser, Pathos, Epik. Der Song kippt vom klassischen Indierock in eine akustische Dystopie, nur um sich wieder aufzurichten. Ein Meisterstück und Herzstück des Albums. Die zarte Pianoballade "Love Don't Love Him Anymore", das Interlude "As I Lay Down Dying" als Interlude und das Bläser-gestützte "Going Underground" beschließen das Album.

"Lights (And A Slight Taste Of Death)" ist kein poliertes Comeback, sondern ein Statement aus Fleisch, Staub und Narben geworden. Eine Platte, die atmet, schwankt, stolpert – und genau deshalb lebt. Naked Lunch machen das, was sie immer am besten konnten: Das Große im Kleinen finden, die Schönheit im Unfertigen. Nach zwölf Jahren Schweigen kehren sie nicht als Helden zurück, sondern als Überlebende – und liefern damit ihr vielleicht bisher ehrlichstes Werk ab.

Trackliste

  1. 1. To All And Everyone I Love
  2. 2. Only Hollow
  3. 3. We Could Be Beautiful
  4. 4. Go Away
  5. 5. Bring On The Lights
  6. 6. All The Same
  7. 7. Blackbird
  8. 8. Come Into My Arms
  9. 9. Fuck My Senses
  10. 10. If This Is The Last Song You Can Hear
  11. 11. I Saw
  12. 12. Love Don't Love Him Anymore
  13. 13. As I Lay Down Dying
  14. 14. Going Underground

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