laut.de-Kritik
Stoiker, Grantler, Visionär: der Rock-Schamane in Bestform.
Review von Markus BrandstetterEs donnert, der Regen beginnt zu prasseln, man hört Tiergeräusche. Kurz darauf ertönt eine Mundharmonika, die gemeinsam mit einem Orgel-Drone "Mother Earth" beschwört. Es ist nichts Alltägliches im Rock'n'Roll, ein Live-Album im Nachhinein mit Naturgeräuschen anzureichern. Wir haben es hier aber mit dem Regentanz des Neil Young zu tun, dem Rock-Schamanen, dem Unbeirrbaren, dem Konstanten, dem Widersinnigen, Widerspenstigen.
Neil Young ist auch deswegen Neil Young, weil er sich ohnehin noch nie etwas geschissen hat. Dass Neil wütend darüber ist, wie wir und die Großkonzerne mit unserem blauen Planeten umgehen, ist ja hinlänglich belegt.
Nach "Mother Earth" wirds elektrisch. "I won't quit", singt Neil Young, eine Durchhalteparole, ein Versprechen: "Fighting for the farmer in the land / In the good old ways that were here / Since time began I won't quit / Slapping and clapping at the corporations greedy hands / For trying to steal the farm credo / Turning soil into sand / I won't quit." Die Gitarren heulen, und mittendrin auch die Tiere. Das klingt irgendwie albern, ist es aber nicht. "Bring it on", ruft Neil. Auch er liefert ab, und zwar anständig.
Diesmal hat er das verrückte Pferd im Stall gelassen, statt Crazy Horse ging es letztes Jahr mit Lukas Nelsons Promise Of The Real auf Tour. Die beiden Bands sind klanglich miteinander mehr als verwandt, und Neil präsentiert sich in absoluter Bestform. Stoiker, Grantler, Visionär, Erfinder: Die Energie scheint ihm auch mit 70 noch längst nicht auszugehen.
Nach "My Country Home" gehts eine Stufe runter in der Dynamikskala. Die Dankbarkeit des genannten Tracks weicht aber der Wut gegenüber dem Agrarriesen Monsanto. "The farmer knows he's got to grow what he can sell, Monsanto, Monsanto / So he signs a deal for GMOs that makes life hell with Monsanto, Monsanto / Every year he buys the patented seeds / Poison-ready they're what the corporation needs, Monsanto", singt Young in "Monsanto Years" (vom Album "The Monsanto Years") und summiert abschließend: "The seeds of life are not what they once were / Mother Nature and God don't own them anymore." Mittendrin gibts hörbaren Autotune, warum auch immer, und natürlich Bienensummen.
Vom Longplayer "On The Beach" spielt er "Vampire Blues", ebenso steht "Hippie Dream" vom 1986er-Longplayer "Landing On Water" auf dem Programm. Zwischendrin werden die Tiergeräusche manchmal ein wenig viel. Seis drum, auf erneuten Regen und ätherischen Chorgesang folgt das wundervolle "After The Gold Rush", "Human Highway" von "Comes A Time" beendet Teil eins.
Den Höhepunkt des zweiten Teils markiert das Schlussstück der Platte. Über ganze 28 Minuten und vier Sekunden ergießt sich "Love And Only Love". Die Gitarren kratzen, jaulen, schleifen, lodern, brennen. Alles spinnt sich immer weiter in Geräusch, Feedback. Es ist großartig.
Overdubs und Tiergeräusche hin oder her: Neil Young hat uns mit voller Wucht eine phänomenale Live-Platte entgegen geschleudert, die uns einmal mehr in Erinnerung ruft, wie einzigartig er, der große Alte, Widersinnige ist. Finden sicher auch die Tiere ganz am Schluss, so wie die lärmen.
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